Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm
: Ticketsicherung ist offenbar ein Sport für sich

Das Schöne daran, Besuch zu haben: Das Wochenende darf mittwochs anfangen. Wie passend, dass es da auch passende Musik gibt. Sogar an einem – für mich – neuen Ort. Was in den letzten zwei Jahren ja nicht zuletzt fehlte, waren Gelegenheiten, überrascht zu werden: von zufälligen Treffen und Orten, wenn Dinge sich einfach ergeben – was sie kaum mehr tun. Alles will geplant werden.

Unbekannte Orte sind so gesehen ein guter Einstieg in Überraschungsmöglichkeiten. Der ZigZag Jazzclub liegt in einer etwas niemandslandigen Ecke von Friedenau, unweit des Innsbrucker Platzes. Dutzende Male vorbeigeradelt, nie wahrgenommen. Am Mittwoch nun sollen dort Training spielen, ein Projekt zwischen Free Jazz und Postrock. Aus den Proben des Saxofonisten und Flötisten Johannes Schleiermacher und des Schlagzeugers Max Andrzejewski während des Lockdowns entstand ein Stream, der eine ziemliche Welle machte – und Festivalauftritte zur Folge hatte. Woraus dann wiederum das Album „Three Seconds“ entstand, für das Training transatlantisches File-Ping-Pong mit dem Deerhoof-Gitarristen John Dieterich spielten.

Jetzt also die Gelegenheit, die beiden analog zu erleben. Nur leider, so stellt sich vor Ort heraus, musste Max Andrzejewski kurzfristig in Quarantäne. Doch weil auch bei dem zweiten Act des Abends, der Band um Christian Kögel, der Saxofonist ausfällt, kommt sein Mitstreiter Johannes Schleiermacher zu seinem Auftritt.

Daraus wird dann ein musikalisch kurzweiliger Abend. Der Ort ist auch super: gemischtes Publikum, leckere Drinks, die Band bester Dinge. Keine Ahnung, wie sie sonst zusammenspielen, doch in diesem Moment wirkt es, als sorge der neue Mitspieler für Synergieeffekte. Sympathisch auch, dass Leute offenbar gerne alleine herkommen, nur der Musik wegen. Frauen, Männer, junge, ältere. Das ZigZag könnte für künftige Überraschungen gut sein. Richtung Wochenende geht es dann an Orte, die sind so alt, dass sie fast schon wieder neu wirken. Etwa 15 Jahre war ich nicht im Wild At Heart, wo am Freitag der charmante Skeptiker Henning Sedlmeir sein neues Album „Schallplatte“ vorstellt – vor knapp zwei Dutzend Menschen, die viel Vergnügen in seiner minimalistischen Mischung aus Punk, Trash und Selbstironie haben, inklusive Mitsingmomenten. Je überschaubarer das Publikum, desto euphorischer die Gäste. Auch Sedlmeir freut sich, dass es das Wild At Heart noch gibt – und macht sich zugleich Sorgen, der Laden werde ihn überleben.

Noch ein alter, neuer Ort. Bis vor Kurzem glaubte ich, Hallenbäder nicht zu mögen. Jahre ist es her, seit ich in einem war. Gerade allerdings gab es die Jahreskarte der Bäderbetriebe als Schnäppchen, die Anschaffung lohnte allein für die Freibadsaison. Und seit ich ausprobiert habe, wie sich Drinnenschwimmen dieser Tage so anlässt, bin ich geflasht von den Optionen in der Stadt – allerdings wohl auch, weil die Bäder gerade leer und akustisch erträglich sind. Vor ein paar Tagen war Neukölln dran, nun Schöneberg. Wir paddeln im dampfenden Außenbecken durch die Mittagssonne, dann gucken wir vom Solebecken aus in den Himmel.

Allerdings war es fast unmöglich, Tickets zu ergattern. Eine Kassenkraft erzählt unlängst, die Hälfte der Dauerkarten-Besitzer – die für ihre Reservierung nix bezahlen – tauchen für ihren Slot gar nicht auf. Ticketsicherung ist offenbar ein Sport für sich – weswegen es in den Bädern noch leerer ist, als es seuchenbedingt sein müsste. Und während ich auf mein Handy starre, um auf die Sekunde vier Tage im Voraus zu buchen, offenbar im Wettbewerb mit Trockenschwimmern, die vor ihren Rechnern sitzen, statt schwimmen zu gehen, erfreut sich der Freund an der eindrücklichen Architektur des Bads. 30 Sekunden später ist alles ausverkauft.