Man kennt sich

Im vorgezogenen EM-Endspiel besiegen die Spanier Konkurrent Schweden mit 32:28, aber die skandinavischen Handballer haben trotzdem noch große Pläne

Geflecht von Armen: Spaniens Jorge Maqueda Peño wehrt Schwedens Jim Gottfridsson ab Foto: Radovan Stoklasa/reuters

Aus Bratislava Frank Heike

Ein Abklatschen hier, ein Schulterklopfen da: Wenn sich die besten Handballspieler jedes Jahr im Januar treffen, um ihre Welt- und Europameister zu küren, ist das immer auch ein großes Wiedersehen im Nationaltrikot. Man kennt sich, man schätzt sich, hat in der Bundesliga gegenein­ander gespielt, die Kräfte im europäischen Klubwettbewerb gemessen. Auffallend ist dabei die Mischung aus Fairness und Respekt, mit der einander begegnet wird.

Anhaltenden Applaus des Gegners bekam am Samstagabend in der recht leeren Ondrej Nepela Arena in Bratislava auch Jim Gottfridsson, Schwedens Anführer. Er war gerade zum Man of the Match eines packenden Duells ernannt worden. Wobei: Nicht jeder Spanier klatschte so aufrichtig wie Abwehrchef Gedéon Guardiola vom TBV Lemgo. Er kennt Gottfridsson aus Partien gegen die SG Flensburg-Handewitt und plauschte schon während des Spiels mit ihm.

Manche, gerade die Jüngeren, feixten hingegen mit strahlenden Minen, hatten sie doch gerade einen Titelfavoriten besiegt: 32:28 gewann Spanien in der Gruppe E, hat schon zwei Siege auf dem Konto und steht bereits in der Hauptrunde. Dementsprechend zerknirscht nahm Gottfridsson die Trophäe entgegen. Den Schweden gelang es nie, den nötigen Angriffsdruck zu entwickeln. „Wir haben viel zu viele Fehler gemacht“, stöhnte Gottfridsson. Elf Ballverluste leisteten sich die Skandinavier, nur fünf die Spanier. Obwohl deren Regisseur Raúl Entrerríos aufgehört hat und die Duschebajew-Brüder Daniel und Alex verletzt fehlen, können sie wieder eine starke Nationalauswahl aufbieten.

Bei dieser EM in Ungarn und der Slowakei wollen die Spanier ihren Stockholmer Triumph von 2020 wiederholen. Es wäre der Titel-Hattrick. Trainer Jordi Ribera hat den geduldigen, unspektakulären Handball perfektioniert: Ob am Samstag Routinier Joan Cañellas das Spiel leitete oder die jüngeren Tarrafeta oder Casado – es kam nie Hektik auf. Die Erfolge der vergangenen Jahre haben der Auswahl großes Selbstvertrauen verliehen. Sehr zur Freude der fünf spanischen Fans, die munter unter 50 Schweden saßen und das „Eviva España“ der Hallenregie nach Abpfiff fröhlich mitsangen. Dabei blieb sogar der obligatorische Mund-Nasen-Schutz an Ort und Stelle, was am Tag zuvor beim Spiel Österreich gegen Polen kaum der Fall gewesen war; 2.500 der 10.000 Plätze dürfen angeboten werden.

Schweden ist mindestens so selbstbewusst wie Spanien in die Veranstaltung gestartet. Gestützt auf viele Bundesliga-Spieler wie Gottfridsson oder Johan Carlsbogård aus Lemgo soll bei dieser Euro endlich der Titel her. Nach Platz drei bei der Weltmeisterschaft in Ägypten 2021 sind die Erwartungen groß in der Heimat, denn diese Mannschaft ist gut gereift. Torwart Palicka, die Außen Wanne und Ekberg: Profis mit Erfahrungen in der Champions League, gestählt in großen Turnieren. „Eine Mannschaft ohne Schwächen“, urteilte der schwedische Experte Claes Hellgren in der Boulevardzeitung Expressen.

Allerdings gibt es bei dieser Handballmesse eine große Unbekannte. Schweden musste am Samstag auf den Abwehrstrategen Max Darj verzichten – ein positives Testergebnis auf Corona verhinderte seinen Einsatz. Er wird gemäß dem Hygienekonzept der EHF fünf Tage in Quarantäne sein, ehe er nach zwei negativen PCR-Tests mit einem Tag Abstand wieder spielberechtigt wäre. Darj könnte zur Donnerstag beginnenden Hauptrunde wieder dabei sein. Erst einmal muss Schweden am Montagabend gegen Tschechien gewinnen, um im Turnier zu bleiben. Dass bei dieser EM auf eine „Bubble“ verzichtet wurde, die Spieler also die Hotels verlassen dürfen, findet ungeteilte Zustimmung. Die Hoffnung war groß, dass es ein Turnier der sportlichen Schlagzeilen wird, keines, das sich um Omikron dreht. Die Fakten sprachen zunächst eine andere Sprache. Siehe Darj. Oder Julius Kühn bei den Deutschen.