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abschiebeknastWie oft noch?

Ein Hungerstreik, eine Misshandlung, drei Suizidversuche und ein nahezu unbehandelter Herzinfarkt: Das ist lediglich die Bilanz der letzten sechs Wochen im Berliner Abschiebeknast in Grünau. Seit zwei Monaten kommt die Haftanstalt nicht mehr aus den Negativschlagzeilen raus. Die Umstände dort sind höchst beklagenswert. Doch den Senat ficht das wenig an. Schon vor einem halben Monat hatte der Berliner Flüchtlingsrat wegen der eskalierenden Ereignisse die Innenbehörde zur Intervention aufgefordert. Passiert ist:

KOMMENTAR von ADRIENNE WOLTERSDORF

Nichts. Dabei ist die lange Haftdauer der keineswegs kriminellen Menschen nur als unmenschlich zu bezeichnen. Ebenso die Tatsache, dass selbst Minderjährige inhaftiert werden. Es muss endlich Schluss damit sein, dass Polizeiärzte die Gefangenen versorgen – und nicht unabhängige Mediziner. Außerdem müssten alle Betroffenen Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten. Das waren die vernünftigen – und umsetzbaren – Forderungen des Flüchtlingsrates.

Ein anderer Umgang mit den MigrantInnen wäre möglich, wenn nur die Kopfbehörde, die Senatsverwaltung unter Ehrhart Körting (SPD), auf die ausführenden Organe mäßigenden Einfluss nehmen würde. So könnte Körting der ihm unterstellten Ausländerbehörde durchaus vorschreiben, die Vorschriften zur Vermeidung der Abschiebehaft und zur Prüfung alternativer Unterbringungsmöglichkeiten gutwillig zu berücksichtigen. Damit ließe sich die Zahl der Eingesperrten deutlich reduzieren.

Dringlich wäre auch, genauer zu prüfen, wer freigelassen werden muss – denn bei rund 40 Prozent der Inhaftierten ist eine Abschiebung aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich. Diese Menschen machen Tag für Tag unnütz traumatische Erfahrungen. All dies zu ändern wäre machbar, Herr Senator.

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