Kämpferische, mutige Frauen

In Kabul fordern einige Frauen am 16. Dezember ihre Rechte ein Foto: Wakil Kohsar/getty images

Wer kämpft wofür?

„Nahrung, Arbeit, Freiheit, Gleichheit“: Mit diesen Forderungen haben am 16. Dezember mehrere Dutzend Frauen im verschneiten Kabul demonstriert. In Videos, die in sozialen Medien kursieren, trägt keine der kämpferischen Frauen eine Burka. Vielmehr schützen sie sich mit Schals und Mützen ­gegen die Kälte, während sie mit schnellen Schritten vor die UN-Vertretung ziehen.

Ihr Protest, der laut Nachrichtenagentur AFP sogar von den Taliban genehmigt worden war, richtet sich sowohl an die Weltgemeinschaft, die das hungernde Land am Hindukusch und seine verzweifelten Frauen nicht vergessen soll, als auch an die Taliban. Letztere sollen Frauen ihre Jobs und Rechte zurückgeben und die schwere Wirtschaftskrise lösen. „Die Angst ist immer da, aber wir können nicht in Angst leben. Wir müssen unsere Angst bekämpfen“, erklärt eine 28-jährige Frau in einem Video. „Die Armut hat uns hierher gebracht“, sagt einer andere Demonstrantin laut der lokalen Nachrichtenwebseite TOLONews.

Welche Rückschläge gab es?

Am 15. August waren die radikal-islamistischen Taliban kampflos in die Hauptstadt Kabul ­ein­marschiert und hatten damit in Afghanistan wieder die Macht übernommen. Schon zuvor ­hatten sie eine Provinzhauptstadt nach der anderen erobert, bis die gewählte Regierung floh und sich ihre Truppen ergaben. Kaum jemand war noch bereit, für die vom Westen am Leben gehaltene, dysfunktionale und korrupte Regierung zu kämpfen.

Schon seit Monaten lag Afghanistan, aus dem die restlichen Nato-Truppen seit Mai überhastet abgezogen wurden, wirtschaftlich am Boden. Trotz Milliardenhilfen war es nicht gelungen, eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen. Der Großteil des Staatshaushaltes inklusive der meisten Gehälter der Staatsangestellten wurde vom Ausland bezahlt.

Dazu kam die Panik vor den Taliban. Die Erfahrungen mit ihrer brutalen und frauenfeindlichen Herrschaft von 1996 bis 2001, danach jahrelange Angriffe samt Terroranschlägen sowie die Angst vor Rache und Vergeltung trieben Zehntausende in die Flucht. Vom Flughafen Kabul gingen Bilder völlig verzweifelter Menschen um die Welt.

Mitte August froren die USA Afghanistans Währungsreserven und Auslandskonten ein, doch beschleunigte dies nur noch den Wirtschafts- und Finanzkollaps des Landes.

Wie geht es weiter?

Die Taliban drängen auf die Freigabe der gesperrten Mittel, auf Wiederaufnahme der Hilfen und Anerkennung ihres Regimes. Dafür geben sie sich seit der Machtübernahme nach außen gemäßigt. Doch berichten Menschenrechtsorganisationen von Gräueltaten und Racheaktio­nen. Frauen und Journalisten bezeugen Diskriminierungen und Einschüchterungen. Sie fordern andere Länder auf, den Druck auf das Regime zu erhöhen. Derweil erleben sie am eigenen Leib, wie die Bevölkerung unter den Sanktionen, der Misswirtschaft und den Folgen des jahrelangen Krieges im Land leidet.

Zuletzt protestierten die Frauen gegen ihre Entrechtung durch die Taliban und für internationale Hilfe. Die Taliban nutzen ihrerseits die Frauen, deren Proteste sie bisher verboten hatten, um Druck auf die USA auszuüben. Washington hatte die Taliban wiederholt zur Achtung von Menschen- und Frauenrechten aufgefordert, gefährdet aber mit der Kontensperre selbst hungernde afghanische Kinder, Mütter und Väter. Die US-Regierung versprach inzwischen Hilfe, will aber die Konten weiter sperren.

Am Dienstag dieser Woche haben die Taliban deshalb eine größere Demonstration – von Männern – vor der verwaisten US-Botschaft aufmarschieren lassen. Laut den Vereinten Nationen werden in Afghanistan in diesem Winter ohne massive Hilfen viele Menschen verhungern. Sven Hansen