Ausgehen und rumstehen von Jenni Zylka
: Den drolligen riesengroßen Fisch nehm ich mit Kußhand

Ganz kurz, für das My eines Sekündchens hatte ich am Donnerstag den Reflex, meiner Freundin mit einem Filzstift einen zweiten dünnen Strich auf ihren Antigentest zu malen, hihi… aber ich merk’s ja selber. Ist nicht so lustig wie spontan gedacht. Gar nicht. So freute ich mich stattdessen über unsere Negativität, die den Besuch in der Staatsoper ermöglicht. Wir schauen uns den drolligen riesengroßen Fisch an, der bei Péter Eötvös’ Oper „Sleepless“ als Bühnenbild auf der Drehbühne liegt, und der hoffentlich nun, wo keine Vorstellung mehr ansteht, nicht einfach weggeworfen wird – ich würde ihn mit Kusshand nehmen!

Die Spelunke im letzten Teil seiner Wirbelsäule (oder Gräten), in der die durch toxische Männlichkeit gebeutelte Sopranistin ihr Schicksal besingt, würde ich neu beleben. Man könnte dort hervorragend Omega-3-Cocktails servieren, aus Aquavit (der muss doch beim über die Meere kuttern ein bisschen was vom Fischöl abbekommen haben …?), und zum Nachtisch Krabbencocktail.

Doch am Freitag zerschlägt sich mein Glaube an den Heilsbringer Omega 3 durch einen Zeitungsartikel, der nachweist, dass das Zeug für die Herzgesundheit überflüssig ist. Frus­triert nehme ich den Hinweis aus dem Text wörtlich, sich stattdessen lieber mit Oliven zu preppen, und gehe in einer Schöneberger Bar Martinis trinken. Kurz bevor ich mit den Zahnstochern einen perfekten Stern legen kann, so wie Jack Lemmon in „Das Apartment“, kommt eine SMS von meiner Freundin, die auf einer echten Tanzparty ist, und mich dorthin zu locken sucht. Aber irgendwie will die Laune nicht mehr so weit steigen, und dass Omega und Omicron wurzellinguistisch zusammengehören (Omega bedeutet „großes O“, Omicron „kleines O“), macht die Sache nicht besser.

Es kommen auch wieder andere Zeiten, tröste ich mich, und finde am Samstag wie zur Bestätigung Christbaumschmuck in Form eines Standmixers, in dessen Mixbehälter als Smoothieersatz grüne, glänzende Perlen rascheln. Ist es nicht eine wunderbare und sehr gesunde Vorstellung, den Tannenbaum mit Green-Smoothie-Blendern zu behängen? Ich kaufe fünf Stück, und fühle mich dabei so unfassbar fit, dass ich noch fünf Christbaumschmuck-Champagnerflaschen und drei Christbaumschmuck-Bierkisten als Gegengewicht dazukaufe, und wenn jetzt jemand einwendet, für soviel glänzendes Blech Geld auszugeben, sei doch wohl nicht ganz gescheit, sage ich knallhart: Stell dir vor, ich hätte fünf echte Standmixer, fünf echte Champagnerflaschen und drei echte Bierkisten gekauft! Na also. Ich habe sogar noch gespart.

Am Samstagabend haue ich das Gesparte darum in einer Kreuzberger Tapas-Eckbar auf den Holztisch, in der ein reizender 60er-Jahre-Musikmix läuft, ein paar lahme K-Tel-Powerhits wie „No milk today“ (der Dauerschleifensong für Veganer:innen) finde sich auch darunter, aber das meiste sind tipptopp Songs wie „Coconut“ von Harry Nilsson oder das großartige „Mr. Soul“ von Buffalo Springfield (geschrieben von Neil Young). Meine Dinnerbegleitung und ich wollen nie mehr weg, auch wegen der Oliven mit dem vielen Omega 3. Doch dann fällt mir ein, dass im Film „Der Omega-Mann“, der auf dem Science-Fiction-Buch „I am legend“ von Richard Matheson basiert, ein Bakterienstamm mutiert und die Menschheit pandemisch ausrottet, beziehungsweise in eine Vampir-Zombie-Mischpoke verwandelt, und ich kriege schlechte Laune.

Zu Hause schaue ich darum schnell die fantastische, erste Adaption des Stoffs, „The last man on Earth“ von 1964, mit Vincent Price, der sich im Film den Wecker auf 6 Uhr morgens stellt, obwohl er der letzte Mann auf der Erde ist. Das ist tapfer. „Another day to live through“, sagt Price zu Beginn zu sich selbst, „better get started“. So sehe ich das auch. Omicron-Männer hin oder her.