„Die Bauten stehen an jeder Ecke“

Eiko Grimbergs Fotoessay zeigt, was von der Architektur des Faschismus in italienischen Städten geblieben ist

Foto: Arthur Zalewski

Eiko Grimberg* 1973, ist Künstler und lebt in Berlin. Zuletzt erschien sein fotografischer Essay „Rück-

schaufehler“ zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses /Humboldtforum.

Interview Robert Matthies

taz: Herr Grimberg, wie wirkt der italienische Faschismus in den Bauten des Razionalismo fort?

Eiko Grimberg: Die Baumaßnahmen waren flächendeckend, diese Bauten sind an jeder Ecke zu sehen, vom Bahnhof bis zum Kindergarten. Als ich in Rom anfing zu fotografieren, dachte ich: Diese Leute, die aufs Postamt gehen, die mit dem Zug fahren, die bewegen sich alle vor einer historischen Kulisse, die in den 1930ern gebaut wurde und sie wissen es wahrscheinlich, aber es spielt keine Rolle, weil die Funktion der Gebäude immer noch da ist. Die Zeichen sind auch noch da. Man hat in vielen Städten noch das faschistische Rutenbündel an den Gebäuden. Wohin geht die politische Konnotation, wenn sie nicht mehr wahrgenommen wird, aber trotzdem noch da ist?

Der Razionalismo ist ambivalent, will modern sein, versteht sich aber auch als Architektur für den neuen Faschismus.

Das ist genau der Punkt, der mich interessiert. Mitte der 1920er gibt es das Bedürfnis bei jungen Architekten in Italien, zeitgenössisch modern zu bauen. Da hat der Futurismus Vorarbeit geleistet. Allerdings ist der Futurismus utopisch, der Rationalismus nur bedingt, da geht es vor allem darum, auf rationaler Grundlage zu bauen. Diese Architekten dienen sich Mussolini an: Faschismus ist das Ding der Zeit und wir machen die Architektur dazu. Was mich als Künstler interessiert hat, ist der Punkt, wo es umschlägt. Etwa Mitte der 1930er-Jahre wird das historische Erbe wichtiger. Dadurch wird die moderne Idee zurückgedrängt und das Imperiale, Monumentale, Neoklassistische tritt in den Vordergrund.

Die Nazis waren von Beginn an antimodern. Warum konnte sich das moderne Bauen in Italien länger halten?

Der italienische Faschismus kommt zehn Jahre früher als der Nationalsozialismus. Natürlich haben auch die Nationalsozialisten von den technischen Errungenschaften der Architekturmoderne profitiert. Das Bauhaus in Dessau haben sie aber noch vor der Machtergreifung dichtgemacht. In Italien ist Mussolini flexibler und sagt: Wir schauen uns das mal an. Da gibt es eine Gleichzeitigkeit von Moderne und historisierendem Bauen. Der italienische Faschismus zeigt sich da zumindest anfangs elastischer.

Und prägt so bis heute das Stadtbild?

Ausstellung „Eiko Grimberg: Future History“: bis 30. 1. 22, Bremen, Galerie K‘, Alexanderstraße 9b; Künstlergespräch mit Volker Weiß: heute, 19 Uhr

Diese Architektur überlebt den Kontext, für den sie gebaut wird, und findet sich in einer demokratischen beziehungsweise postfaschistischen Gesellschaft wieder. Dann ist die Frage, was sie dort repräsentiert. Diese Frage versuche ich visuell zu beantworten.

Sie haben zum Beispiel einen Skater fotografiert, der einen Arkadengang zum Skaten nutzt.

Der Skater findet diese Arkadengänge eben sehr attraktiv, weil sie lang, groß und breit sind. Er ist ein Beispiel für eine Form des Umgangs mit dieser Architektur, die Aneignung durch eine urbane Jugendkultur. Sie nimmt sich diesen Raum und er wird dadurch ein anderer und auch anders wahrgenommen – obwohl er zugleich derselbe bleibt.