Weihnachtsbeleuchtung im Ex-Brennpunkt: Melancholisches Jahresendgefunkel
Zwischen diesen Corona-Jahren wird die Kolumnistin sentimental, aber irgendwer leuchtet ihr schon heim – auch wenn da kein Altbau ist.
B in gespannt, wie lange sie hängenbleibt, die Weihnachtsbeleuchtung. Die Zeit hat gerade einen entzückend akademischen Text über die „LED-isierung der Welt“ als „Leistungsschau der Leuchtmittelindustrie“ veröffentlicht und damit den Trend ja eigentlich beerdigt, aber hier in meiner neuen Hood eskaliert das Wettrüsten um die beleuchtetsten Balkone und Wohnzimmerfenster noch munter vor sich hin. Ist ja auch nicht Hamburch.
Ich habe natürlich ein kleines kulturelles Problem mit allem, was kalt-weiß oder gar bunt leuchtet und schlimmstenfalls blinkt, aber ich gewöhne mir das gerade ab. Nur weil ich als Kind die Kerzenflammen am Weihnachtsbaum gelb ausgemalt habe und auf den langen Autofahrten auf dem Rücksitz neben meiner Schwester warmgelb leuchtende Weihnachtsbäume in der Dunkelheit gezählt habe, müssen das meine Nachbarn ja nicht auch noch schön finden.
Weihnachtsbeleuchtung ist wirklich die einzige Dekoidee, der ich etwas abgewinnen kann. Die mir, haha, einleuchtet. Das Treppenhaus hat in diesem Jahr der freundliche Nachbar aus Kasachstan geschmückt, der uns sonst auch gern mal bei kleineren Fahrradreparaturen aushilft. Das ist nur einer der Gründe, warum ich mich hier wohlfühle. Ein anderer ist, dass ich aus jedem Fenster erst einmal auf Bäume gucke.
Wenn mich Menschen, die ich aus meiner Vorortexistenz kenne, besuchen kommen, gucken die trotzdem erst einmal sehr mitleidig. Was mich je nach allgemeiner Stimmungslage ärgert oder amüsiert. Natürlich sind diese Wohnblöcke hier, die Mitte der 60er-Jahre gebaut wurden, nicht unbedingt der Inbegriff dessen, was wir unter architektonischer Schönheit verstehen. Ich hätte gewiss auch nichts gegen einen lichtdurchfluteten Altbau und eine Gründerzeitfassade gehabt.
Das Viertel ist an einem interessanten Kipppunkt
Das hier sind nun zweckmäßige, graue, gleichförmige Betonquader. Keine Platte wohlgemerkt, dazu sind die Häuser nicht hoch genug, aber doch schon so, dass man sie, wenn man im richtigen Winkel fotografiert und den Ausschnitt geschickt wählt, als Themenfoto benutzen kann für irgendwas mit Brennpunkt, Armut, Hartz IV oder so.
In anderen Gegenden der Welt würde dies trotzdem als 1a-Wohnviertel durchgehen, vor allem dank der großzügigen Grünanlagen und top ausgestatteten Spielplätze, auf denen jeden Tag ein Gärtnerteam herumfuhrwerkt. Ich muss mich um das Laub der Bäume nicht kümmern. „Ist ja alles nicht mehr so“, wie meine Oma zu floskeln pflegt. Das Viertel ist an einem interessanten Kipppunkt, scheint mir.
Es gibt eine wilde Mischung aus den ganz Alten, die herzogen, als diese Bauweise für kurze Zeit als topmodern galt (als die schicken Altbauwohnungen noch mit Kohleöfen geheizt wurden und das Klo eine halbe Treppe tiefer hatten), den vor Jahrzehnten Zugewanderten, die sich noch erinnern, dass einzelne Blöcke bestimmten Nationalitäten zugeordnet waren (damals schuf das Wohnungsamt die Parallelgesellschaften noch selbst), den vor kurzem Zugewanderten, den Klebengebliebenen, den Zurückgekommenen, den Studenten, den jungen Paaren und, na ja, Leuten wie mir halt.
Die Mieten klaffen jedenfalls innerhalb ein und desselben Blocks erstaunlich weit auseinander. Und die Weihnachtsbeleuchtungskonzepte nun auch, um mal zum Ausgangspunkt zurück zu kommen, denn neben den bunten, blinkenden, üppigen LED-Lichtergirlanden, gibt es natürlich auch noch klassische Schwibbögen, die morgens von einer faltigen Hand aus und abends wieder angeknipst werden.
Und bei denen man Kerzen noch tauschen kann, statt gleich das ganze batteriebetriebene Billiggelumpe zu entsorgen, wie mein Vater selig an dieser Stelle fluchen würde. Aber es kommt ja alles wieder, tröste ich mich.
Sieh, der ewige Kreislauf des Lebens, denke ich auch, als mein Erstgeborener zu erkennen gibt, das er ab jetzt den Weihnachtsgrinch zu geben gedenkt, mit verächtlichem Schnauben und Augenrollen und allem. Ach guck, denke ich, noch ein bis zwei Jahre aufgeregt hüpfende Weihnachtsmagie mit dem Kleinen, dann haben wir das Thema auch erst mal durch. Seltsam. Mal sehen, wie lange die Weihnachtsbeleuchtung noch hängt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!