Mit Herzblut und Bastlermut

Man muss kein Auto haben, um tiefergelegt durch die Nachbarschaft zu cruisen. Die „Easy Rider Show“ im Märkischen Museum stellt soziale Projekte und andere Initiativen rund ums Fahrrad vor

Die Bike Storms aus London setzen auf Akrobatik Foto: Adam Corbett

Von Stephanie Grimm

Hö­re­r*in­nen des britischen Radiosenders BBC 4 wussten es schon vor 16 Jahren: Das Fahrrad ist das Beste, was der technologische Fortschritt überhaupt hervorgebracht hat. 2005 wurde es jedenfalls von 59 Prozent der Teilnehmenden auf Platz 1 aller Erfindungen gewählt (den Computer hielten 6 Prozent für den größten Segen, das Internet gar nur 4 Prozent).

Da hatte die Renaissance des Radfahrens längst begonnen, die mittlerweile auf den Straßen, besonders in Großstädten allerdings noch viel sichtbarer geworden ist, als es seinerzeit der Fall war. Die Welt des Fahrrads ist bunter und ausdifferenzierter geworden – aber eben auch ein großer Markt. Zugleich hat sich der Kampf um den öffentlichen Raum weiter verschärft. Die Konflikte wachsen zwischen Radfahrer*innen, dem Autoverkehr und neuerdings auch mit denen, die auf E-Scootern unterwegs sind.

Längst hat das Vehikel das Zeug zum Statussymbol, für viele ist es Teil ihrer Lifestyle-Inszenierung. Man kann viel Geld fürs passende Fahrrad ausgeben, die damit einhergehenden Codes werden nicht mehr nur von Eingeweihten verstanden. Natürlich ist grundsätzlich jeder, der ins Camp der Radfahrer wechselt, willkommen, selbst wenn er oder sie sich dafür erst einmal in ein Luxusgefährt verlieben muss, mit dem man angeben kann.

Trotzdem oder gerade deshalb sind die antikommerziellen Perspektiven erfrischend, die die Schau „Easy Rider Road Show – Eine Ausstellung über das Fahrrad als Utopie“ im Märkischen Museum eröffnet; entstanden ist sie in Kooperation mit dem Museum für Subkulturen (musuku).

Im Spätsommer waren Teile der Ausstellung bereits in Gestalt riesiger Fotowände auf Lastenräder durch die Stadt getourt, jetzt gibt es das Ganze im breiteren Kontext, mit Hintergründen – und erweitertem Berlinbezug. In der Ausstellung geht es um Subkulturen und Zukunftsszenarien rund ums Fahrrad – aus Berlin und aus aller Welt. Alle verbindet, dass sie in der Gerätschaft nicht nur den reinen Gebrauchswert sehen und dabei zumeist einem DiY-Ethos folgen. Selbst bauen, oft aus alten Fahrradteilen, ist die Devise: etwa beim Black Label Bike Club, der 1992 in Minneapolis gegründet wurde und mittlerweile von Tokio bis Malmö etliche Ableger hat. Dort leben Bastler ihre Liebe zu selbst geschweißten Hochrädern aus, die sie aber bisweilen in Zweikämpfen auch gleich wieder zerstören – eingefangen wurden die teils martialischen Rituale der eingeschworenen Gemeinschaft von der Fotografin Julie Glassberg.

Der Kubaner Félix Ramón Guirola Cepero setzt noch einen drauf. Seine Sammlung von Hochrädern hat er mit alten Rahmen aus chinesischer Produktion zusammengebaut, das Konzept des Tandems denkt er in die Höhe. Im Moment radelt er auf einem 3-Meter-Rad durch Havanna, träumt aber von einem 10 Meter hohen Gefährt. Überhaupt scheint es der Blick von oben vielen Fahrradfans angetan zu haben. Einige Mitglieder des Black Label Bike Club bauen auch Hochräder, die sich für Flugreisen unkompliziert zerlegen lassen, und waren damit schon in Indonesien unterwegs.

Eigenbauten sind auch die sogenannten Lowrider, mit denen in Mexiko-Stadt sonntags der Chilagos Lowbike Club unterwegs ist: tätowierte, gepiercte Männer und Frauen, die sich von Gewalt und Drogen abgewandt haben und ihre Energie nun in ihre aufgepimpten, verchromten oder vergoldeten Bikes stecken. Man muss kein Auto haben, um tiefergelegt durch die Nachbarschaft zu cruisen. Manchmal reicht ein Bananensattel.

Darüber hinaus finden sich etliche Beispiele in der Ausstellung, wo der Kult um Rads nicht nur performativen Charakter hat, sondern auch für Wandel steht: für ein anderes (soziales) Miteinander, um Interaktion mit dem Lebensumfeld Stadt. Etwa bei den Londoner Bike Stormz. In der Stadt kommen Jahr um Jahr zu viele Jugendliche bei Messerstechereien um, die Politik hat dem wenig entgegenzusetzen. Unter dem Motto „Messer runter, Räder hoch“ organisiert Mac Ferrari, dessen bester Kumpel erstochen wurde, zusammen mit dem Profi Jake O’Neill Wheelie-Ausfahrten, recht akrobatische Touren also, bei denen das Vorderrad ständig in der Luft gehalten wird.

In Berlin bemühen sich Initiativen, Geflüchteten per Fahrrad einen Zugang zur neuen Heimat zu geben. Der in der Ausstellung vorgestellte Verein Rückenwind möbelt alte Räder auf und gibt sie weiter. Durch den Blick in ganz unterschiedliche Milieus zeigt die Ausstellung nicht zuletzt: Ein Fahrrad zu finden, das glücklich macht, muss nicht die Welt kosten. Es braucht vor allem viel Herzblut.

Bis 27. 3. 2022 Märkisches Museum, www.stadtmuseum.de, Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa.+So. 10–18 Uhr