Gib mir den Korb

Die Inflationsrate ist wieder in den Nachrichten. Aber wird jetzt wirklich alles teurer? Wie das Statistische Bundesamt die Teuerungsrate berechnet, ist nicht ganz unkompliziert

Von Svenja Bergt (Texte) und Anaïs Edely (Illustrationen)

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 20.100 Kuckucksuhren im Wert von 4,1 Millionen Euro produziert. Es waren damit laut Statistischem Bundesamt nur halb so viele wie noch im Jahr 2019. Damals lag die Produktion bei 43.600 Stück im Wert von 8,5 Millionen Euro. Was ist da los? Wollten die Menschen in Deutschland während der Pandemie nicht mehr wissen, wie spät es ist? Oder schauen sie nur noch auf ihre Telefone? Anscheinend nicht, der Absatz von anderen Wanduhren sank im selben Zeitraum zwar auch, aber nur um 17 Prozent. Die Auflösung: Zielgruppe für Kuckucksuhren sind vor allem Tourist:innen. Und die blieben in der Pandemie aus – womit der Absatz der Uhren entsprechend sank. Doch das heißt nicht, dass die Uhren nun zur Wühltischware werden – im Gegenteil. Denn auch die Hersteller von Kukucksuhren sind von den steigenden Rohstoffpreisen betroffen. Holz und Messing beispielsweise sind teurer geworden und auch die Energiepreise steigen, was sich bei der Gusseisenproduktion bemerkbar macht. So stiegen auch die Preise für die Uhren.

Ob Strom und Gas, Obst und Gemüse, Friseur- oder Restaurantbesuche – steigende Preise bemerken Ver­brau­che­r:in­nen am Kontostand oder im Portemonnaie. Bei einer Inflationsrate von 4,5 Prozent, wie wir sie Stand Oktober in Deutschland haben, bleibt also merkbar weniger übrig, oder? Das kommt drauf an: Manche Menschen sind von steigenden Preisen stark betroffen, andere kaum.

Das hat zwei Gründe: Zum einen ist das Kosumverhalten unterschiedlich – in einigen Bereichen steigen die Preise stärker, in anderen weniger. Zum anderen werden aber die Preise von Waren und Dienstleistungen in der Berechnung der Inflationsrate, die das Statistische Bundesamt vornimmt, unterschiedlich stark gewichtet.

Eigentlich werden landwirtschaftliche Produkte wie Getreide, Obst und Gemüse oder Fleisch gerade teurer, weil die Energiepreise steigen und die Ernten und Ernteprognosen in vielen Ländern knapper ausfallen. Eine Ausnahme zumindest in Deutschland ist das Schweinefleisch. Schon seit Jahren sinkt die Nachfrage, deshalb wird für die Produzenten der Export wichtiger. Dazu kamen nun in vielen Teilen der Welt pandemiebedingte Schließungen von Restaurants und, noch wichtiger, in Deutschland wurden Fälle der Afrikanischen Schweinepest bekannt. Das hatte einen Einbruch der Exporte und einen Preisverfall auch in Deutschland zur Folge. Die sinkenden Preise führen dazu, dass Schweinehalter:innen ihre Ware teilweise unter Wert verkaufen – sie zahlen drauf. Expert:innen gehen davon aus, dass die Entwicklung zu einer Marktkonsolidierung führen wird und Betriebe aufgeben. Die Politik jedenfalls nimmt hier auch sinkende Preise als Problem wahr: Bei der Konferenz der Agrar­minis­ter:in­nen Anfang Oktober analysierten die Mi­nis­ter:in­nen, dass „die Krise im Schweinebereich noch längere Zeit anhalten wird“. Als Konsequenz sprachen sie sich unter anderem für einen „verstärkten Umbau zu tierwohlgerechter Haltung“ aus.

Der Warenkorb des Statistischen Bundesamtes, den wir auf diesen Seiten grafisch aufbereitet haben, zeigt diese unterschiedliche Gewichtung an. Dabei gilt: Je größer das Bild, desto stärker wird der jeweilige Posten gewichtet. Werden also beispielsweise Fleisch und Wurstwaren teurer, wirkt sich das stärker auf die Inflationsrate aus als Preissteigerungen bei Obst. Die rechnerische Inflationsrate kann damit stark von der persönlichen abweichen.

Um ein Auto zu kaufen, müssen die meisten eine Weile sparen oder einen Kredit aufnehmen – und gerade gilt das noch mehr als sonst. So waren Gebrauchtwagen laut einer Erhebung des ADAC Stand September im Schnitt 3.500 Euro teurer als im Jahr zuvor. Das liegt daran, dass der Gebrauchtwagenmarkt gerade ausgesprochen eng ist. Mehr Menschen wollen in der Pandemie ein Auto besitzen, gleichzeitig steigen die Preise für Neuwagen, weshalb ein Teil der Käufer:innen auf den Gebrauchtwagenmarkt ausweicht. Der Preisanstieg bei Neuwagen ist bereits seit einigen Jahren zu beobachten und liegt unter anderem an dem Trend zu teureren Fahrzeugen wie SUVs und Elektroautos. Aktuell kommt dazu, dass es den Herstellern an Mikrochips fehlt, die ein entscheidendes Bauteil für die jetzigen Generationen von Autos sind. Dieser Mangel ist auch hausgemacht: Zu Beginn der Pandemie rechneten die Unternehmen mit sinkenden Absatzzahlen und kündigten Zulieferverträge. Kein Problem für die Chiphersteller, schließlich stieg die Nachfrage etwa in der Unterhaltungsindustrie. Wohl aber für die Autokonzerne. Dass die Chips nun fehlen, führt unter anderem dazu, dass Hersteller ihre Fahrzeuge fast fertig bauen und dann zwischenparken, bis wieder genügend Bauteile verfügbar sind. Dabei ist es für die Hersteller attraktiv, zunächst die teuren Modelle fertig auszustatten. Schließlich könnte sich der eine oder die andere Kundin davon locken lassen, lieber bald ein teures Modell zu kaufen, als länger auf ein günstigeres Modell zu warten.

Der Warenkorb umfasst 650 Güterarten von Reis bis zur Kurtaxe, samt der jeweiligen Gewichtung in Promille, also 0,1 Prozent. Die einzelnen Bereiche werden vom Statistischen Bundesamt bis ins Detail aufgeschlüsselt. Das zeigt gleich ein Blick in den Anfang der Tabelle mit dem Bereich „Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke“, der insgesamt mit 96,85 Promille gewichtet wird. Verfolgt man hier den Pfad Nahrungsmittel, gelangt man irgendwann zu Molkereiprodukten und Eiern, bei denen unter anderem unterschieden wird zwischen Vollmilch, teilentrahmter Milch und Dauermilch, die mit unterschiedlichen Gewichtsanteilen im Warenkorb landen.

Mehrere Monate mussten Gastwirte komplett schließen, durften dann erst nur wenige Plätze anbieten, mussten in zusätzliche Hygienemaßnahmen investieren. Und nun fehlt auch noch Personal: Viele Beschäftigte in der Gastronomie haben in den vergangenen anderthalb Jahren andere Arbeitsplätze gefunden – und festgestellt, dass Bezahlung und Arbeitsbedingungen woanders oft besser sind. Wer gutes Personal haben will, muss also mehr bieten. All das führt dazu, dass im Gastgewerbe die Preise für Kund:innen steigen. Der Regionalgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Nordrhein-Westfalen, Christoph Becker, sprach sich im Kölner Stadtanzeiger dafür aus, 10 bis 20 Prozent auf die Restaurantpreise aufzuschlagen. Für Berlin und Brandenburg hat das dortige Statistik­amt schon mal erhoben, wie sich die Preise entwickelt haben: So zahlte man in Hotels und Gaststätten in Berlin im Oktober im Schnitt 5,8 Prozent mehr als im Vorjahresmonat, in Brandenburg 7 Prozent mehr.

Unsere Grafik geht aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht bei jeder Kategorie so weit ins Detail, sondern bleibt, wo es Sinn ergibt, bei den Oberkategorien. Dennoch zeigen sich interessante Unterschiede: So wiegen beispielsweise die Preise von Neuwagen mit 24,50 Promille schwer im Vergleich zu den Preisen von Fahrrädern: Die werden nur mit 0,99 Promille gewichtet.

Bei Büchern funktioniert das mit den Preisen anders als bei Autos oder Nudeln: Es gilt die Buchpreisbindung. Deshalb sind die Preise für Bücher stabil, obwohl die Kosten für Papier steigen. Die Großhandelspreise für gemischtes Altpapier haben sich laut Statistischem Bundesamt im September gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als verdreifacht. Importe von Holz- und Zellstoff, die zur frischen Papierherstellung benötigt werden, kosteten knapp 50 Prozent mehr. Die steigenden Preise liegen unter anderem an einer gesunkenen Produktion von sogenanntem grafischem Papier, zum Beispiel für Flyer, aus denen später hochwertiges Altpapier entsteht. Flyer wurden während der Lockdowns nicht gebraucht, gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Verpackungsmaterial wegen des zunehmenden Versandhandels stark an. Bei einigen Papierprodukten sind die Auswirkungen schon erkennbar: Druckerpapier oder Schulhefte waren diesen September um 4,5 Prozent teurer als im Vorjahresmonat, etwas über der allgemeinen Teuerungsrate. Bran­chen­in­sider:in­nen gehen deshalb davon aus, dass auch bei Büchern die Preise steigen werden. Hardcover-Bücher zum Beispiel, die preislich gerade meistens um die 20 Euro liegen, könnten dann über 30 Euro kosten. Von den Preissteigerungen bei Papier wird perspektivisch wohl auch ein Pandemie-Verkaufsschlager betroffen sein: Toilettenpapier.

Das heißt: Preissteigerungen bei Pkw wirken sich stärker auf die Inflationsrate aus als Preissteigerungen bei Fahrrädern. Warum? Das hängt damit zusammen, wie der Warenkorb überhaupt zustande kommt. Basis dafür ist die Einkommens- und Verbraucherstichprobe.

Die Zahlen in der Grafik geben nicht die Inflation für das jeweilige Produkt wieder, sondern den Anteil, den das Produkt am durchschnitt­lichen Warenkorb hat, mit dem das Statistische Bundesamt die Inflation berechnet.

Dabei führen nach einer Stichprobe gezogene Haushalte ein Haushaltsbuch. Sie schreiben also auf, wie viel sie für die von ihnen konsumierten Waren und genutzten Dienstleistungen ausgeben. Daraus errechnen die Statistiker:innen, was ein durchschnittlicher Haushalt pro Gut oder Dienstleistung ausgibt. Damit nicht Produkte wie Alkoholika oder Tabak unterbewertet sind, werden die Haushaltsangaben mit anderen Statistiken abgeglichen.

Es gilt also: Je mehr die Haushalte für einen Bereich ausgeben, desto größer auch sein Gewicht im Warenkorb.