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Nachbarschaften organisieren ihren Alltag immer stärker über Apps, auf dem Dorf ebenso wie in der Großstadt. Wie das funktioniert, hängt von der persönlichen Ansprache ab

Gelebte Nachbarschaft zur Weihnachtszeit, hier in Belarus Foto: Victor Drachev/AFP/dpa/ picture-alliance

Von Lars Klaaßen

Morgen ist der zweite Advent, für viele sind die derzeitigen Wochen die besinnlichste Zeit des Jahres. Doch nicht alle können die Weihnachtszeit im Kreise von Familie und Freunden verbringen: Immer mehr leiden besonders in dieser Zeit unter Einsamkeit. In einer Umfrage unter Mitgliedern des Portals nebenan.de gaben im vergangenen Dezember mehr als ein Drittel der 700 Befragten an, sich in der Weihnachtszeit ab und zu einsam zu fühlen. Dies ist nicht bloß ein Phänomen vermeintlich anonymer Großstädte, auch die Dorfidylle sieht nicht so aus, wie man ihr nachsagt.

Sämtliche Familien sonntags in der Kirche? Schon lange vorbei. Die bekannten Gesichter alle auf dem Schützenfest? Da war auch schon mal mehr los. Und die Dorfkneipe, in der man früher beim Bier zusammensaß? Gibt es nicht mehr. „Auch bei uns auf dem Dorf kennt nicht mehr jeder jeden“, sagt Dominik Schmengler, Bürgermeister von Meyenburg. Die Ortschaft in der Gemeinde Schwanewede, zwischen Bremen und Bremerhaven gelegen, hat rund 1.400 Einwohner. Viele, die hier wohnen, sind in den vergangenen Jahren zugezogen, kennen die Alteingesessenen also nicht. Und selbst von den Hiesigen pendeln die meisten früh morgens zur Arbeit und kommen erst spät abends wieder nach Hause. „Da bleibt kaum Zeit und Raum für den Austausch unter Nachbarn“, weiß Schmengler aus eigener Erfahrung. „Doch das hat sich im Laufe der vergangenen vier Jahre wieder deutlich geändert.“

Nachdem Schmengler vom Portal nebenan.de erfahren hatte, setzte er sich dafür ein, dass ein Großteil seines Dorfes sich darüber vernetzt. 2015 gegründet, sind bundesweit mittlerweile rund 2 Millionen Nutzer in etwa 8.000 Nachbarschaften darüber aktiv. Wer sich bei einer „Nachbarschaft“ anmeldet, muss nachweisen, dort auch wohnhaft zu sein. Private Haushalte können nebenan.de kostenlos nutzen. „Wir finanzieren uns aber nicht durch Abschöpfen der Nutzerdaten, wie andere kostenlose Angebote im Netz“, betont Geschäftsführerin Ina Remmers, „sondern garantieren Datenschutz.“ Das Portal finanziert sich durch lokales Gewerbe und Organisationen, durch freiwillige Förderbeiträge, Kooperationen mit Gemeinden und Kommunen und durch bezahlte Beiträge von ausgewählten Werbepartnern.

„Wir ziehen klare geografische Grenzen, weil die Leute im echten Leben zusammenkommen sollen“, erläutert Remmers. Ob man sich nur mal eine Bohrmaschine ausleihe oder mit anderen sein Hobby teilen wolle: „Alle sind mit ihren Namen samt Adressen erkennbar, man kann sich auf der Straße begegnen. Wir wollen die Anonymität in der Nachbarschaft reduzieren.“ Deshalb seien auch die Probleme anderer sozialer Netzwerke wie Fake News oder Hate­speech kein Problem. Fällt jemand unangenehm auf, können sich die Nachbarinnen und Nachbarn an das Moderationsteam wenden. „99,5 Prozent der Inhalte auf der Plattform sind freundlich und hilfsbereit und nur ein Bruchteil der Beiträge – 0,5 Prozent – werden gemeldet“, sagt Remmers.

Diese Verbindlichkeit, gekoppelt an klar gesteckten geografischen Grenzen bei der Mitgliedschaft haben Bürgermeister Schmengler gefallen: „Ich habe Vertreter von der Schule und von unseren Vereinen – Landfrauen, Sport, Schützen zum Bier und zum Kaffee eingeladen und denen von ­nebenan.de erzählt.“ Danach wurden Flyer an die Haushalte ausgeteilt und Schmengler hat seinen alten Bully mit dem ­nebenan.de-Logo beklebt. Die Lokalpresse wurde natürlich auch informiert. „Die ersten sechzig, siebzig Leute hatte sich dann schnell angemeldet“, erinnert der Bürgermeister sich, „und damit war die kritische Masse erreicht, das Netzwerk griff weiter um sich.“ Heute sind über 370 Nachbarn in Meyenburg aktiv, wobei einige ihren Account als ganze Familie oder mit Partner nutzen; insgesamt entspricht dies rund 63 Prozent der Einwohner. Zum Vergleich: In München kommt nebenan.de auf einen Anteil von rund 18 Prozent. Bei der niedersächsischen Kommunalwahl im September 2021 bekam Schmengler knapp 140 Prozent mehr Stimmen in der Ortschaft als 2016 – „wohl auch, weil meine Projekte und Aktivitäten über nebenan.de bekannter geworden sind“, vermutet er.

In den ohnehin als anonym verschrienen Großstädten sind noch ganz andere Akteure gefragt: Bei der „Schaffung lebendiger (digitaler) Nachbarschaften“ können Wohnungsunternehmen in Deutschland „eine wichtige Rolle als Vorreiter und Treiber“ einnehmen, so die Studie „Wohntrends 2035“: In der Wohnungswirtschaft werde die Onlinekommunikation mit dem Kunden zum Normalfall. „Gerade größere Wohnungsbauunternehmen haben zum einen die Fähigkeiten, Nachbarschaften in großem Stil auch per App einzubinden“, sagt Katrin Trunec, Mitautorin der Studie und Senior-Beraterin der Analyse & Konzepte GmbH. „Des Weiteren haben diese großen Akteure auch oft ganze Quartiere in ihrer Obhut.“ Während die Bewohner über ihr Wohnumfeld informiert werden möchten, wollen die Vermieter sozialen Zusammenhalt fördern – auch im Eigeninteresse eines attraktiven Wohnumfelds. „Maßgeschneiderte Apps“, so Trunec, „bieten hierbei den größtmöglichen Spielraum.“

Weihnachten nebenan

Mit fünf Ideen regt nebenan.de an, unkompliziert für Weihnachtsstimmung und mehr Miteinander zu sorgen:

Singen verbindet: Mit der Nachbarschaft im Treppenhaus, Garten oder Hinterhof zum Singen von Weihnachtsliedern verabreden. Man kann auch die Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Pflegeheim um die Ecke mit einem Weihnachtssingen vor Fenstern und Balkonen überraschen.

Mit der Nachbarschaft einen Winterspaziergang machen. Bei einer Verschnaufpause mit Glühwein und Punsch lässt es sich gut plaudern.

Wichteln Wenn feststeht, wer mitmacht, wird ausgelost, wer wen beschenkt. Die Geschenkübergabe kann einzeln an der Haustüre oder gemeinsam an der frischen Luft stattfinden.

Noch ein Platz an der Weihnachtstafel frei? Viele Menschen verbringen die Feiertage fernab von ihrer Familie. Wer eine Person aus der Nachbarschaft einlädt, sorgt für ein bisschen weniger Einsamkeit. Dabei sollten die Coronaregeln beachtet werden.

Geschenke liegen unterm Baum, warmes Essen steht auf dem Tisch und der Kamin wärmt: für viele leider nur ein Wunschtraum. Da wäre es eine gute und schöne Idee, etwa eine Hilfsaktion für Bedürftige zu organisieren. (lk)

Ein Pilotprojekt mit einer mobilen Webseite läuft derzeit in Hamburg. „Wir wollen mit den Bewohnern hier in Kontakt bleiben, sie zudem ermuntern, vor die Tür zu gehen und in der Nachbarschaft soziale Kontakte zu schließen – auch per Webseite“, erläutert Thomas Speeth Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Schiffszimmerer, der dort den Bereich Quartiers- und Freiwilligenmanagement Haus verantwortet. „Gerade, weil die Bewohner im Schnitt immer älter werden, ist es wichtig, frühzeitig Unterstützung anbieten zu können – ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ ist schließlich auch ein Kerngedanke des Genossenschaftsprinzips.“

Die Schiffszimmerer eG hat 9.000 Wohnungen in mehreren Quartieren. Allein im Rübenkamp leben etwa 8.000 Menschen, davon ungefähr 2.000 in derzeit rund 900 Wohnungen der Genossenschaft. „Um möglichst direkten Kontakt zu einzelnen Bewohnern und sozialen Zusammenhalt in der Nachbarschaft herzustellen, bedarf es dort verschiedener Mittel“, sagt Speeth. Einerseits ermöglichen erst möglichst barrierefreie Häuser und Wege im Quartier, dass Senioren vor die Tür gehen können. Ein Gemeinschaftshaus, in dem regelmäßig Veranstaltungen angeboten werden, dient als Anlaufstelle. Dort lernen einerseits Nachbarn sich kennen, anderseits Mitarbeiter und Ehrenamtliche der Genossenschaft die Bewohner. „Ein wichtiger Baustein beim Entwickeln eines inklusiven Quartiers ist die mobile Webseite ‚Meine Nachbarn‘“, betont Speeth. „Hiermit können sowohl die Genossenschaft als auch die Bewohner untereinander eine Reihe ganz bestimmter Zielgruppen punktgenau erreichen, auch Menschen, die schon älter sind.“ So motiviere man etwa Menschen, zu bestimmten Veranstaltungen ins Gemeinschaftshaus zu kommen.

Nicht zuletzt mit Blick auf die eigene Umfrage des Nachbarschaftsnetzwerks im vergangenen Dezember setzt nebenan.de übrigens einen Gegentrend und startet auch in diesem Jahr die Aktion „Weihnachten nebenan“. Bis zum 26. Dezember ruft die Plattform dazu auf, sich für mehr Gemeinschaft einzusetzen.

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