: Immer diese Merkel
GRIECHENLAND Hupende Autos, explodierende Böller, auf den Tischen tanzende Männer – es steht 1:1 und für einen Moment scheint den Griechen alles möglich. Doch dann kommt es anders und ihre Mannschaft ist draußen
AUS ATHEN FELIX DACHSEL
Als sie nach Hause gehen, als die Flaggenverkäuferin weiterzieht, als die Polizei den Mannschaftswagen verriegelt auf dem Syntagma-Platz in Athen, da ist wohl Angela Merkel von ihrem Plastikstuhl in Danzig schon aufgestanden. Wäre Michel Platini deutscher Kanzler, es wäre ihnen schwergefallen zu lachen in Griechenland. Er saß 90 Minuten rotweindick auf seinem Ehrenplatz. Aber Angela Merkel: Ihr Zittern, das Ballen ihrer Fäuste, ihr pistaziengrünes Jackett. Buhrufe, eher verzagt als aggressiv.
Einige pfeifen und gestikulieren, die meisten aber lachen über die Frau aus der Uckermark, ohne die Uckermark zu kennen, woher sollten sie auch? Vielleicht würden sie sonst noch lauter lachen. Sie schlagen ihre griechischen Zeitungen auf und sehen: Merkel. Dabei haben sie Merkel nicht einmal gewählt.
Sie sitzen an einem Platz in der Hauptstadt der ältesten Demokratie der Welt, jedenfalls lernt man das im Geschichtsunterricht, an dem die Polizei in letzter Zeit hin und wieder Tränengas versprüht, jedenfalls sieht man das in den Nachrichten, bestellen Bier und bekommen Chips in Tellern. Die Flaggenverkäuferin weiß nicht, was sie tun soll: Am Rand warten mit ihren blau-weißen Fähnchen, 3 Euro das Stück, oder durch die Reihen gehen und den rauchenden Männern mit den nationalen Stoffrechtecken über den Kopf streichen?
Da ist da Spiel noch nicht angepfiffen. Die Bildschirme, von denen mindestens zwölf in dieser Fußgängerzone hängen, zeigen Sami Khedira, und man ist noch entspannt und mediterran, obwohl Kenner ahnen, dass Khedira etwas im Schilde führt. „Good man“, sagt ein alter Mann. „Real Madrid.“
Kurz vor Anpfiff, die Hymnen. Sie singen nicht bei der eigenen, sie pfeifen nicht bei der deutschen. Sie bestellen Bier und bekommen Chips in Tellern. Sami Khedira, sein Blick im Kabinengang. Die Sicherheit eines Mannes, auf den ein Model und der beste Club Spaniens warten – auch falls das hier schiefgeht. Ganz in der Nähe bewachen zwei Polizisten das Parlament. Sie hören das Spiel im Radio. „Good luck“, sagen sie. Auch wenn man sich als deutsch zu erkennen gibt. Gerade dann.
Vor dem Spiel am Kiosk: ein Blick durch die Tagespresse. Der Gefallen daran, dass griechische Kritik an Rassismus in Zeitungsformat nicht an einem Verzagtheitsproblem leidet, wie anderswo. Da retten die Griechen uns. „BILD – Fuck you“, titelt Pressing. Vor dem Spiel ist der Krieg, den deutsche und griechische Zeitungen versprachen, jedoch nicht zu finden: Überall fahren die Menschen Bus, bestellen Frappé, treten sich die Absätze ihrer Stöckelschuhe kaputt.
In der Fußgängerzone sieht es nach einem Wunder aus, die Flaggenverkäuferin geht durch die Reihen, nachdem Griechenland den Ausgleich geschossen hat, 55. Minute, Georgios Samaras, Hupen der Motorroller, Hupen der Autos, Böller. Einige Männer entscheiden sich, nun auf den Tischen zu tanzen, auf denen das Bier steht und die Chips. Alles ist möglich. Halbfinale, Finale, Europameister.
Doch Kenner nicken, als Sami Khedira, 61. Minute, den Ball aus der Luft ins Tor ballert und man muss ballern sagen, obwohl der Boulevard das Wort gekapert hat: Ist das der deutsche Panzer, der angekündigt war? Kenner nicken. „Good man!“ Diese Urgewalt, ein Fan allein kann dieses Tor zum meistgeklickten YouTube-Video machen, wenn er nur die Zeit dazu hätte. Anerkennung in Athen für dieses Naturschauspiel. Khedira sieht nicht aus wie die Uckermark, sie applaudieren.
Dann köpft Miroslav Klose ins Netz, dann ballert Marco Reus unter die Latte ins Tor. Dann ist alles anders, als man es sich hier vorgestellt hat: Deutschland überrollt Griechenland, ruft den Kellner herbei und zahlt. Am Syntagma-Platz haben zwei Polizisten Feierabend, es ist kurz vor zwölf Ortszeit, sie haben das Radio abgedreht. Was gibt es jetzt auch noch zu hören?
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