DIE EM AUS BRITISCHER SICHT: Den Fernseher anschreien
Louise Osborne
Normalerweise bin ich kein Fußballfan. Ich finde die Liga langweilig und verfolge nicht, welche Spieler von welcher Mannschaft gekauft werden. Ich finde, dass die Spieler viel zu viel verdienen, und interessiere mich auch nicht für ihr Privatleben – im Gegensatz zu den britischen Zeitschriften. Aber ich finde internationale Turniere toll. Menschen aller Nationalitäten kommen zusammen, um gemeinsam ein Spiel in einer Kneipe oder auf der Straße zu sehen. Alle sind gespannt, trinken viel Bier und warten, bis der Schiedsrichter eine falsche Entscheidung trifft, damit sie den Fernseher anschreien können.
Am Sonntag jedoch hatten wir Engländer einen wirklich schlechten Abend. Im Viertelfinale traf die englische Nationalmannschaft auf Italien und verlor. Es war ziemlich spannend – beide Mannschaften spielten sehr geschickt, schafften es innerhalb von 120 Minuten aber nicht, auch nur ein einziges Tor zu schießen. Am Ende konnten die Italiener das Elfmeterschießen für sich entscheiden. Leider ist dieser Spielverlauf nicht so ungewöhnlich für uns.
Ich saß am Sonntag in einer Kneipe mit anderen Engländern, auch mit Italienern. Obwohl es in Berlin schwer ist, eine authentische englische Kneipe zu finden, war es die perfekte Atmosphäre, um das Spiel zu sehen. Es ist immer schön, inmitten aufgeregter Menschen auf Tore zu warten. Wir warteten, die Engländer und die Italiener zusammen, aber es kamen einfach keine Tore. Aber obwohl wir schließlich verloren haben, war es ein Abend voller freundlicher Kameradschaft.
Für Engländer ist Fußball das wichtigste Spiel, das es gibt. Auch wenn wir Tennis und Cricket mögen, liegt uns nur Fußball wirklich am Herzen. Obwohl jedoch England die Heimat einer der berühmtesten Ligen der Welt ist, hat unsere Nationalmannschaft seit 1966 weder eine Weltmeisterschaft noch eine Europameisterschaft gewonnen – an den WM-Sieg von 1966 erinnern sich die Jüngeren unter uns nicht einmal mehr, aber wir bekommen immer wieder begeistert davon erzählt.
Wir erwarten bei einer WM nicht mehr, dass unsere Mannschaft gewinnt, aber trotzdem hoffen wir darauf. Je besser die Mannschaft spielt, desto lauter schreien wir auch. Normalerweise spielen die Jungs entweder fantastisch oder außerordentlich schlecht. Dieses Jahr hatten wir eine gute Mannschaft, die auch wirklich gut gespielt hat. Vorbei ist es jetzt trotzdem.
Wir unterstützen unsere Nationalmannschaft jedes Mal, bis sie unausweichlich aus dem Turnier ausscheidet. Diesmal hatten wir zunächst noch große Hoffnungen, fühlten uns etwa nach dem Spiel gegen Schweden richtig gut und waren sogar Gruppenerster. Nun ist es wirklich schade, dass die englische Mannschaft nicht mehr bei der Europameisterschaft spielen wird – aber jetzt hoffen wir Engländer in Berlin eben, dass am Donnerstag Deutschland gegen Italien gewinnt.
■ Louise Osborne ist freie Journalistin für verschiedene britische Medien
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen