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„Schlimmste humanitäre Krise der Welt“

In Afghanistan werden in diesem Winter viele Menschen verhungern oder erfrieren

Von Sven Hansen

Die Zahl der Menschen, die sich am Rande einer akuten Hungersnot befinden, ist nach Angaben des UN-Weltnernährungsprogramms WFP 2021 auf 45 Millionen in insgesamt 43 Staaten gestiegen, wobei weltweit insgesamt 690 Millionen an Hunger leiden. Zu Jahresbeginn waren noch 42 Millionen akut von Hunger bedroht. Die Zunahme geht hauptsächlich auf Afghanistan zurück. Hier ist die Zahl der stark Betroffenen auf 8,7 Millionen gewachsen, 3 Millionen mehr als zu Jahresbeginn. Insgesamt haben fast 22,8 Millionen Menschen in Afghanistan, das sind etwa 60 Prozent, nicht genug zu Essen. Schätzungen zufolge werden bis Ende 2021 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren an akuter Unterernährung leiden.

Die Nahrungsmittelknappheit in Afghanistan hat laut dem WFP-Exekutivdirektor David Beasly ein größeres Ausmaß erreicht als die Engpässe im Jemen und in Syrien. „In diesem Winter werden Millionen von Afghanen gezwungen sein, zwischen Migration und Hunger zu wählen, wenn wir unsere lebensrettende Hilfe nicht verstärken können,“ warnt Beasly. „In Afghanistan herrscht eine der schlimmsten humanitären Krisen der Welt, wenn nicht sogar die schlimmste.“

Die Gründe sind vielfältig. So hat die Dürre der vergangenen Monate zusammen mit dem Ausbleiben der internationalen Hilfe in Folge der Machtübernahme der Taliban zu einer nationalen Misere geführt. Zum Kollaps der Wirtschaft kommt der Zusammenbruch des Gesundheitssystems, begleitet von Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Treibstoff.

Die Wirtschaft schrumpfte schon unter der früheren Regierung. Seit jedoch die USA und andere Staaten die finanziellen Hilfen an Kabul gestoppt haben und die Taliban keinen Zugang zu den afghanischen Währungsreserven im Ausland bekamen, ist das Finanzsystem zusammengebrochen. Bargeld ist rar und Millionen haben seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten.

Viele Afghanen verkaufen Habseligkeiten, um sich so die notwendigsten Lebensmittel zu leisten. Denn inzwischen leidet erstmals auch die städtische Bevölkerung in einem ähnlichen Maße wie die Menschen in den ländlichen Gebieten. Verschärft wird die Krise auch durch die Folgen des Krieges. So zählt Afghanistan inzwischen rund 3,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Allein 630.000 von ihnen sind erst seit Jahresbeginn geflohen und bestellen nicht mehr ihre Felder.

Taliban, Flucht und Dürre

Bereits in den vergangenen Jahren war Afghanistan, wo 60 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, auf Lebensmittelimporte angewiesen. Doch die diesjährige Dürre hat die Produktion um fast ein Drittel einbrechen lassen. Die in immer kürzeren Abständen folgenden Dürren werden auch auf den Klimawandel zurückgeführt. Mit der Machtübernahme der Taliban am 15. August haben ausländische Regierungen ihre Entwicklungshilfe eingestellt. Gezahlt wird nur Nothilfe, vorbei an den Taliban direkt an Hilfsorganisationen und Nachbarstaaten. Doch Nothilfe kann die Probleme nicht lösen.

Die Taliban sind mit der Krise überfordert und kämpfen um ihre internationale Anerkennung, von der sie sich Zugang zu den gesperrten Währungsreserven erhoffen. Ende Oktober hat ihre Regierung ein zweimonatiges Beschäftigungsprogramm nach dem Prinzip „Lebensmittel für Arbeit“ verkündet. Es soll Arbeitslosigkeit und Hunger gleichermaßen reduzieren, indem tausende Arbeitslose etwa Bewässerungskanäle und Auffangbecken graben, um Dürren zu verhindern, und dafür mit Weizen bezahlt werden.

Viele Hilfsorganisationen glauben, dass trotz der Bedenken um Menschen- und Frauenrechte an einer internationalen Zusammenarbeit mit den Taliban kein Weg vorbeiführen wird, wenn in Afghanistan ein totaler Kollaps und womöglich eine ähnliche Fluchtbewegung wie 2015 verhindert werden soll. (mit Agenturen)

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