Gekürt mit den Stimmen der AfD?

Der Linkspartei-Bürgermeister von Berlin-Pankow wird überraschend wiedergewählt. Es bleibt aber unklar, von wem. Scharfe Kritik kommt von den Grünen

Unter Druck: Pankows Bürgermeister Sören Benn Foto: Zöllner/imago

Von Gareth Joswig
, Anna Lehmann
und Bert Schulz

Die Wahl eines Bezirksbürgermeisters in Berlin sorgt für schwere Verwerfungen zwischen Grünen und Linken. In Pankow hatte sich Amtsinhaber Sören Benn (Linkspartei) am Donnerstagabend erneut zur Wahl gestellt, obwohl in Verhandlungen zuvor keine Mehrheit aus Linken, SPD und Grünen zustande gekommen war. Entgegen vielen Erwartungen erhielt Benn aber 29 Stimmen – das ist eine mehr als nötig und sechs mehr, als Linke und SPD, die Benn öffentlich unterstützen, zusammen haben.

Seitdem steht die Vermutung im Raum, der 53-Jährige sei nur wegen der Unterstützung der fünf AfD-Abgeordneten erfolgreich gewesen. In sozialen Medien wurde vielfach der Vergleich mit Thüringen gezogen, wo sich im Februar 2020 der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum (Kurzzeit-)Ministerpräsidenten wählen ließ. Das hatte damals unter dem Stichwort „Dammbruch“ eine Regierungskrise und sogar die Intervention der Bundeskanzlerin nach sich gezogen.

Vor allem vonseiten der Grünen wurden Benn und seine Partei scharf angegriffen. So erklärte deren Berliner Landesvorsitzender Werner Graf am Freitagmorgen auf Twitter: „Wer sich sehenden Auges von Nazis abhängig macht, macht sich von Nazis abhängig. Das gilt auch für die Linke Pankow.“ Bundesgeschäftsführer Michael Kellner twitterte: „Als Wahlverlierer sich von Rechtsextremen ins Amt verhelfen zu lassen, das macht man nicht.“ Bei der Wahl am 26. September hatten die Grünen im Bezirk Pankow rund 5 Prozentpunkte mehr geholt als die Linke. Benns Karriere als Bezirksbürgermeister galt daher eigentlich als beendet.

In einem Interview mit der taz verteidigte Benn allerdings sein Vorgehen: „Wir hatten uns vor der Abstimmung eine einfache Mehrheit unter den demokratischen Parteien organisiert.“ Es sei nie auf Stimmen der AfD angekommen, so Benn, weil man bereits vor der Abstimmung demokratische Verordnete habe überzeugen können, für die Zählgemeinschaft aus SPD und Linke zu stimmen. „Was wir allerdings unterschätzt haben, ist die Perfidie der AfD“, so Benn. Dennoch wies er Rücktrittsforderungen zurück. „Wenn ich zurücktrete, spielen wir das Spiel der AfD.“

Halbe Rückendeckung

Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass die AfD mit Gratulationen oder Sympathiebekundungen versuche, das politische Klima zu vergiften. Rückendeckung erhielt Benn von der stellvertretenden Landesvorsitzenden Sandra Brunner: „Die Behauptung der AfD, für ihn gestimmt zu haben, ist genau das: eine unbewiesene Behauptung und entbehrt jeder Grundlage.“

Unklarer blieb die Position des Bundesvorstands. Linken-Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow schrieb auf Twitter: „Wer die Wahl von Sören Benn in Pankow mit Thüringen und Kemmerich vergleichen will, sollte erkennen, dass die AfD linke Po­li­ti­ke­r:in­nen verhindern will, aber sie nicht wählt.“ Ein klares Plädoyer, dass Benn bleiben und nicht zurücktreten sollte? Für Nachfragen war Hennig-Wellsow am Freitagmittag nicht mehr erreichbar. Natürlich könnte die AfD aus taktischen Gründen für Benn gestimmt haben, um ihn so zu verhindern. In der Linken geht man aber eher davon aus, dass Benn mit den Stimmen der CDU gewählt wurde – die aber zu feige sei, sich dazu zu bekennen. Und für die Feigheit der CDU wolle man nicht einen verdienten Bezirksbürgermeister opfern.

Die Berliner AfD feierte den – vielleicht gar nicht selbst verschuldeten – Coup genüsslich: „Pankow zeigt: Die AfD ist fester Bestandteil der politischen Landschaft in Deutschland, und selbst die Linkspartei erkennt dies an“, behauptete Landeschefin Kristin Brinker, die allen Grund hat, von ihrem desaströsen Abschneiden bei der Berliner Wahl abzulenken.