Neuer Roman von Jacqueline Woodson: Erinnerung lebendig halten
Die Schriftstellerin Jacqueline Woodson erzählt in ihrem Roman „Alles glänzt“ von einer Schwarzen Familie. Diese ist von rassistischer Gewalt geprägt.
„Our stories matter“, dieser Überzeugung folgt die afroamerikanische Schriftstellerin Jacqueline Woodson seit Langem: Über 30 Bücher für Kinder und Jugendliche hat die vielfach preisgekrönte Autorin bereits aus der Perspektive Schwarzer Menschen und PoC geschrieben. Nur zwei Titel wurden bislang ins Deutsche übersetzt, jetzt kann man sie mit ihrem zweiten Roman für Erwachsene entdecken.
In „Alles glänzt“ erzählt die 58-Jährige, die mit ihrer Lebensgefährtin und zwei Kindern in New York lebt, von einer Schwarzen Familie aus der Sicht von fünf Personen: Iris bringt Mitte der 80er Jahre im Alter von 16 Jahren ihre Tochter Melody zur Welt, zunächst ein Schock für ihre Mutter Sabe. Doch Iris will das Kind behalten.
Bald nach der Geburt aber wird deutlich, dass sie sich ein Familienleben mit dem ebenfalls jungen Vater Aubrey nicht vorstellen kann: „Sie hatte nie davon geträumt, Mutter zu sein. Wenn sie sich ihre Zukunft ausmalte, sah sie das College und irgendeinen coolen Job (…). Aubrey sah sie dort nicht.“ Ihre Pläne sind ambitionierter als die Aubreys. Zum Studieren zieht sie weit fort, kehrt nur für seltene Besuche nach New York zurück, die kleine Tochter bleibt beim Vater, der sich hingebungsvoll um sie kümmert.
Das erste Kapitel setzt im Jahr 2001 ein, am 16. Geburtstag Melodys. Ihre Stimme ist als erste zu hören. Im stetigen Wechsel schlüpft die Autorin dann in die Perspektiven auch von Aubrey, Iris und bezieht auch deren Eltern Sabe und Po’Boy ein. Es geht um vielerlei Konflikte; aber auch um viele Arten von Liebe, etwa zwischen Melody und ihrem Vater, Großeltern und Enkelin, die des jungen und des alten Paares. Es geht um die Erfahrung von Rassismus in der Vergangenheit und Gegenwart – und eine verbindende Widerständigkeit dagegen.
Jacqueline Woodson: „Alles glänzt“. Aus dem Englischen von Yvonne Eglinger. Piper Verlag, München 2021. 208 Seiten, 22 Euro
Der Fortgang Iris’, die damit einhergehenden Kränkungen bilden eine Art Zentrum, um das die Stimmen kreisen. Doch von diesem gleichsam wunden Punkt aus zieht Woodson viele weitere Erzähllinien, die damit feinsinnig verbunden sind.
So erschließt sich die anfangs wütende Reaktion Sabes auf die Schwangerschaft genauer, wenn diese weit in ihre von rassistischer Gewalt tief geprägte Familiengeschichte zurückgeht. Ihre Großeltern überlebten 1921 das brutale Massaker von Tulsa in Oklahoma, verloren dabei ihre wirtschaftliche Existenz. Diese Erfahrungen prägen die folgenden Generationen. Dass ihre Tochter die eigene Zukunft nun so leichtfertig zu verspielen scheint, ist für Sabe vor diesem Hintergrund schwer zu ertragen.
Das Lebendighalten von Erinnerung spielt eine wichtige Rolle, nur so können sich die Figuren in der Gegenwart verorten. Dem entspricht Woodsons Verfahren, zwischen verschiedenen Erzählgegenwarten vor- und zurückzuspringen, von denen aus diese sprechen und sich wiederum erinnern. So gehen einige Kapitel zurück ans Ende der 80er Jahre, wo wir Iris am College sehen, in der Auseinandersetzung mit ihren Wünschen und Entscheidungen. Und wo sie sich heftig in eine Kommilitonin verliebt.
Woodson begegnet all ihren Figuren mit Sympathie, einer Wärme, die den Ton des ganzen Buches prägt. Auch Iris’ Wünsche lässt sie als völlig legitim gelten, statt darin ein Versagen als Mutter nahezulegen. Erfrischend ist auch die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Rollenverteilung des Paares tauscht.
Wie ein Puzzle setzt Woodson die Stimmen und Zeitebenen zur vielschichtigen Geschichte einer Schwarzen Familie zusammen. Diese ist durchlässig in die Vergangenheit, geschrieben auch „für die Ahnen, eine lange, lange Linie von euch, sich krümmend und windend“, und hoffnungsvoll für die Gegenwart und Zukunft..
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