: Genauer Blick auf Bäume (und anderes)
Marion Poschmann liest in Lüneburg
Von Alexander Diehl
„Ihre poetische Reflexion über unser intensives Zusammenleben mit Bäumen, unser Verhältnis zu Herbstlaub und Stadtbäumen macht einen Aspekt der Wirklichkeit sichtbar, der im Alltag kaum Beachtung findet“: So formulierte es die Jury des „Wortmeldungen“-Literaturpreises 2021, und gemeint war die Autorin Marion Poschmann, genauer: ihr Text „Laubwerk“. Mit dem Preis würdigt die in Frankfurt/Main ansässige „Crespo Foundation“ seit 2017 ausdrücklich „kritische Kurztexte“, und die Autorin verfolgt da durchaus ein Anliegen: „Ich bin dankbar“, so Poschmann in einem Interview um die Preisvergabe herum, „dass mit diesem Preis die Stadtbäume etwas stärker in den Fokus rücken, dass diese Bäume und all das, wofür sie stehen, ein Forum erhalten.“
Schreiben über Bäume, das klingt nach Nature Writing, wie es auch auf Deutsch in den vergangenen Jahren eine sichtbare Konjunktur hat; ein Nachholen, einerseits, eines Subgenres der englischsprachigen Literatur. Anderseits hat das Schreiben über Bäume im Deutschen natürlich eine ganz eigene, sehr spezifische und durchaus auch mal heikle Geschichte, die Romantiker*innen etwa verehrten-verklärten den Wald wie wenig anderes, und an den Ideen und Formen der Romantik speiste sich dann ja auch schlimme Tümelei.
Marion Poschmann liest: 19.30 Uhr, Lüneburg, Heinrich-Heine-Haus
Ganz anders als frühere, gerne eskapistisch in den Wald gegangene Literaten, seltener auch -*innen, stelle sich Poschmann dem „vom Menschen verursachten kritischen Zustand der Umwelt und des Klimas“: So schreiben Sandra Poppe und Christiane Riedel im Vorwort zur Buchausgabe ihres ausgezeichneten Textes (Verbrecher Verlag Berlin, 2021, 72 Seiten, 12 Euro). Keine Verklärung also, sondern ein durchaus sorgenvoller Blick auf bedrohte Schönheit, mal weit weg – in Neuengland etwa oder Japan –, mal aber auch direkt um uns herum: „In Deutschland färben sich die Bäume auffällig und atemberaubend, aber sie färben sich für gewöhnlich nicht in jenem Blutrot, das das Adrenalin in die Höhe schießen läßt.“
Diesen schönen Text hat Marion Poschmann sicher dabei, wenn sie heute als „Ehrengast“ des dortigen Literaturbüros in Lüneburg liest.
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