: Bilder, die die Welt bewegen
Seit 2019 wird in Osnabrück der Friedenspreis für Fotografie verliehen: Mit der Ausstellung der Gewinner*innen und Nominierten füllt die Stadt ihren Marketing-Pazifismus mit Leben
Von Harff-Peter Schönherr
Es gibt Bilder, die brennen sich dir in die Seele. Da ist diese Burkaträgerin in Afghanistan. Sie geht dem Betrachter entgegen, selbstbewusst, über rissigen Boden, um sie ein Meer weißer Tauben. Da ist dieses Paar im griechischen Flüchtlingslager Moria, vorzeitig gealtert, anklagend und hoffnungsleer. Es zeigt uns sein letztes Handyfoto aus der Heimat, ein Bild voller Jugend und Glück. Da ist dieser junge Mann im Iran, in Militärkleidung. Er blickt uns an, offen, fragend, lächelnd, im Staub einer trümmerbedeckten Straße. Sein Fahrrad ist über und über mit Blumen geschmückt.
Bilder wie diese vergisst du nicht. Derzeit sind sie im Museumsquartier Osnabrück (MQ4) zu sehen, in der Ausstellung zum „Deutschen Friedenspreis für Fotografie“, und wer sie betrachtet, erlebt ein ethisches, ein politisches Statement herausfordernder Schonungslosigkeit. Der Preis, dotiert mit 10.000 Euro, hat Gewicht: Fast 400 Einreichungen aus 95 Ländern zog er diesmal an, beides eine Verdoppelung zur Erstverleihung in 2019.
Eine beklemmende Schau ist so entstanden. Der Frieden, der in diesen Fotografien verhandelt wird, ist weit mehr als ein Zustand der Abwesenheit von Krieg. Es geht zugleich um den Frieden in der Familie, den Frieden zwischen den Generationen und Geschlechtern, um inneren Frieden, um den Frieden mit der Natur. Der Stadt Osnabrück, Ausrichterin des Preises in Kooperation mit dem Osnabrücker Spezialpapierhersteller Felix Schoeller Group, auf dessen Marke Capture X die Fotos der Schau auch gedruckt sind, rechtfertigt damit eindrucksvoll ihren ansonsten oft oberflächlichen Selbstanspruch, eine „Friedensstadt“ zu sein.
Die Burkaträgerin stammt aus der Serie „Afghanistan: The Color Awakens“ des iranischen Fotografen Ako Salemi. Sie zeigt, ohne es zu wollen, wie schnell die Hoffnung eines ganzen Landes schwinden kann: Sie ist vor der Machtergreifung der Taliban entstanden, die jedes Erwachen von Freiheit zunichte macht. Das Paar in Moria ist Teil der Serie „Life between home and hell“ des deutschen Fotografen Reto Klar. Klar tritt an, Flüchtlingen ihre Würde zurückzugeben, indem er zeigt, dass sie „ein Leben hatten, bevor sie flohen, und dass sie Menschen sind wie wir“. Der Fahrradfahrer stammt aus der Serie „Sunrise“ des iranischen Fotografen Hamed Sodachi. „Die Sonne geht morgens auf und abends unter, und die Jahreszeiten ändern sich ständig gegen den Überdruss derer, die Gewalt wollen“, erläutert Sodachi den Titel.
Emeke Obanor, Träger Deutscher Friedenspreis für Fotografie 2021
Natürlich sind im Oberlichtsaal des MQ4 nicht alle Einreichungen zu sehen. Geleitet von dem international namhaften Porträtfotografen Michael Dannenmann, der schon David Lynch, Ringo Starr und Vivienne Westwood vor der Kamera hatte, hat die Jury 17 von ihnen herausdestilliert, für eine Shortlist. Am Ende stand ein Gewinner: Emeke Obanor aus Warri in Nigeria. Aktivist und Fotograf für soziale Gerechtigkeit.
Seine Serie „Heroes“ zeigt, schlicht und dadurch ausdrucksstark, Mädchen, die ihre Selbstbestimmung wiederentdeckt haben, befreit aus den Händen der sadistischen, islamistischen Terrororganisation Boko Haram. Vor Mauern stehen sie, vor Schultafeln, einen Globus in der Hand, bunte Stifte oder einen zerknitterten Comic. Alle von ihnen sind gegen westliche Einflüsse indoktriniert worden, einige leben mit dem Bewusstsein, Sprengstoffgürtel getragen zu haben, um sich und andere zu töten. Jetzt sind sie auf dem Weg in ein besseres und freies Leben.
Emeke Obanor, am Abend der Preisverleihung am Telefon zur taz, aus Nigeria: „Derzeit arbeiten wir am Aufbau unserer Organisation ‚Greenleaves Heritage‘, in der traumatisierte Opfer Hilfe finden, von der Betreuung bis zur Ausbildung.“ Sein Preisgeld wird er ‚Greenleaves Heritage‘ überlassen. Seine Arbeit ist gefahrvoll: „Da brauchst du schon einiges an Mut, an Passion“, sagt er. Freie Rede sei „in Nigeria ja nicht möglich“, sagt er. „Da hemmen dich viele Widerstände, viele Verbote.“ Oder Gewalt: „Es kann vorkommen, dass sie dir die Kamera zerschlagen. Es kann sein, dass auf dich geschossen wird. Aber ich habe keine Wahl. Ich muss diesen Weg gehen. Meine Töchter sollen einmal eine bessere Zukunft haben, in einer besseren Welt!“ Arbeiten wie „Heroes“ verändern also die Gesellschaft? „Ja!“, sagt Obanor mit großer Wärme, beschwörend und zugleich bescheiden. Vom Osnabrücker Preis hat er per Internet erfahren. Dass er sein Gewinner ist, auch.
In der Begründung spricht die Jury von „Metaphern für Weltoffenheit und Aufbruch durch Bildung“. Selbst in der düstersten Verzweiflung, zeige Obanor Hoffnung. Er setzt damit fort, was auch der Gewinnerin von 2019 gelang, der Berliner Fotografin Johanna Maria Fritz mit ihrer Zirkus-Serie „Like a bird“: Bilder von Lebensfreude vor dem Hintergrund von Krise und Konflikt.
Aber auch die anderen Positionen der Shortlist sind stark: Jugendliche, die im Rollstuhl sitzen, die Beinprothesen tragen, träumen vom Fußball. Schwerverwundete entblößen Amputationen, zerstörte Augen. Veteranen der Roten Armee haben ihre Orden angelegt, erworben im Kampf gegen die deutsche Invasion. Auch der Preis für die beste Nachwuchsarbeit prägt sich ein: Die iranisch-deutsche Fotografin Shirin Abedi hat ihn für „May I Have This Dance?“ erhalten, eine Serie über die iranische Ballettszene – und damit zugleich einen Aufbruch in neue Freiheit.
Eine Schau mit Kraft. Dass die Bilder stark spiegeln, macht das Betrachten zwar anstrengend. Aber die Suche nach dem richtigen Betrachtungswinkel lohnt sich. Sehr.
Museumsquartier Osnabrück (MQ4), bis 6. März 2022
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