: Referenz Otto Lilienthal
Der Vertrieb der ersten Platte, die Martyn Goodacre auf seinem neugegründeten Label Das Wasteland heraus-gebracht hat, gestaltet sich schwierig. Über eine tolle Compilation und den mühsamen Start als Musikverleger
Von Andreas Hartmann
Martyn Goodacre hat ein Problem und das liegt in seinem Keller: In Form von fast Tausend Exemplaren der ersten Platte, die er auf seinem neugegründeten Label Das Wasteland herausgebracht hat.
Die Platte ist wunderbar, sie heißt „Berlin Vol 1&2“ und ist ein Doppelalbum voll mit Popmusik von Acts des Berliner Undergrounds. Namen wie Brian Destiny oder Saint Leonard gibt es hier zu entdecken, die belegen, in Berlin geht mehr als immer nur Techno, Techno.
Auch die altehrwürde britische Musikpresse hat von Goodacres Projekt Wind bekommen, auf der Insel ist man traditionell interessiert daran, was in Berlin so geht. Manchmal sogar mehr, als in Berlin selbst, wo die Platte bislang kaum beachtet wurde. Magazine wie „Mojo“ oder „Uncut“ schwärmen über die Compilation, es gebe auf dieser viel zu entdecken, schreiben sie. Allein, und damit wären wir endlich bei dem Problem: sie ist in Großbritannien bislang gar nicht erhältlich. Denn Goodacre fehlt bislang etwas, das sich EORI-Nummer nennt, eine Zollnummer auf EU-Ebene. Die habe er zu spät beantragt, sagt er, und nun heiße es, er bekäme sie frühestens in ein paar Wochen. Und bis dahin könne er seine Ware auch nicht exportieren, nicht innerhalb Europas, nicht nach Großbritannien. Irgendwie haben seine Schwierigkeiten damit, seine Platte auf die Insel zu bekommen, auch etwas mit dem Brexit zu tun, da ist sich Goodacre sicher. Jedenfalls sagt er: „der Brexit ist das Schlimmste, was passieren konnte“.
Goodacre kommt selbst aus England. Aufgewachsen ist er in
Malvern in der Grafschaft Worcestershire, „ein rechtskonservatives Kaff in der Provinz“ nennt Goodacre es. Er ist dann nach London geflüchtet und tauchte dort in die Hausbesetzerszene ein, machte eine Ausbildung zum Fotografen und wurde Freelancer, unter anderem für den Anfang der Neunziger noch mächtigen New Musical Express. Er fotografierte ab den frühen Neunzigern für das Magazin Rockstars wie Iggy Pop und Henry Rollins und eine gewisse Band namens Nirvana.
Doch sein Glück hatte er so noch nicht gefunden. Er zog weiter, nach Thailand, wo er 15 Jahre lang lebte, bevor es ihn nun vor zwei Jahren nach Berlin verschlug. „In Thailand habe ich eigentlich nichts gemacht“, erzählt er, manchmal habe er irgendwelche Villen von Millionären zu welchen Zwecken auch immer zu fotografiert. Aber sonst war in Thailand angesagt: „Irgendwann aufstehen, dann schwimmen gehen, später ein wenig mein Fotoarchiv sortieren.“
Wenn Goodacre in seiner kleinen Wohnung in Treptow einem all die Storys aus seinem Leben erzählt, fragt man sich, wie diese ganzen biografischen Abrisse alle in dieses eine Leben passen sollen. Der Mann vor einem, der selbstgedrehte Zigaretten mit seinem englischen Import-Tabak dreht, ist doch gerade Mal Mitte 40. Als er dann berichtet, dass er in seiner Jugend zig maßgebliche Punkbands live gesehen habe, darunter Joy Division, die ausgerechnet einmal in seinem traurigen Geburtskaff auftraten, muss man dann doch mal nachfragen. Und erfährt: Goodacre ist 58. Der Mann ist ein echter Peter Pan.
Und ganz offensichtlich Lebenskünstler. Hauptberuflich ist er weiterhin Fotograf. Das eindrucksvolle Covermotiv von „Berlin: Vol 1&2“ stammt von ihm. Es zeigt den Fliegeberg in Lichterfelde, der auch Lilienthalberg genannt wird und ein Denkmal für den Flugpionier Otto Lilienthal ist. Auf Goodacres Foto sieht es aus als sei hier ein Ufo auf einem mysteriösen Hügel gelandet. Im Inneren des Doppel-Albums gibt es eine Impression des Tempelhofer Feldes kurz vor Sonnenuntergang zu sehen, eine weitere Fotoarbeit von Goodacre.
Aber seit gut einem Jahr gibt es für ihn eigentlich nur noch die Arbeit rund um seinen verdammten Sampler, den er endlich angemessen unter die Leute bringen möchte. Mitten in der schlimmsten Corona-Zeit hatte er die Idee, Berlins musikalische Ex-Pat-Szene zu beleuchten und vorzustellen. Ex Pats wie ihn selbst, der auch einmal in einer Band namens Fabulous gespielt hat und unter dem Namen Bed Monsters einen Song auf seiner Compilation untergebracht hat. Ex Pats, die aus aller Welt stammend warum auch immer in Berlin gestrandet sind, die Stadt teilweise sogar schon wieder verlassen haben oder aber hier längst tief verwurzelt sind. Wie etwa Mark Reeder, Gesamtkunstwerk und wie Goodacre ursprünglich aus England stammender Regisseur der Doku „B-Movie“ über die Historie des Berliner Undergrounds. Reeder hat Goodacres Stück auf dem Sampler gemixt.
Die Ausgangsfrage für seine Compilation lautete, so der frischgebackene Labelbetreiber: „Was sind die besten unbekannten Bands in Berlin?“ Die wollte er haben und schnell wurde bei dieser Suche aus dem ursprünglich geplanten Einfach- ein Doppelalbum.
Dieses gibt es nur als Vinyl und nicht auf CD. Wer Art Bruts „Good Morning Berlin“, „The Most Fucked Up Staircase in Berlin“ der Berlin Diaries oder „Why we chose to die in Berlin“ von Stolen nicht nur als lausigen Stream hören möchte, braucht dieses Album. Und hilft nebenbei auch Goodacre dabei, irgendwann vielleicht doch wieder seinen Keller leer zu bekommen. Und ein wenig von seinen Schulden runterzukommen.
„Gerade habe ich das Gefühl, ich sitze auf einem sinkenden Schiff und alles arbeitet gegen mich“, sagt er. Da ist ja nicht nur die Sache mit der fehlenden EORI-Nummer: „Ich habe eigentlich jeden Fehler gemacht, den man so machen kann bei einer ersten Veröffentlichung auf dem eigenen Label. Ich habe den beteiligten Bands zu viel Geld gegeben, zu viele Platten gepresst und inzwischen sagen mir viele, Compilations brauche heute kein Mensch mehr.“ Doch zumindest als Berliner oder Berlinerin braucht man seine Platte eigentlich schon.
Berlin: Vol 1&2 – Das Wasteland – bestellbar bei: www.daswasteland.com
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