Verlorenes Paradies

Rumänien möchte die deutsche Auswahl im heutigen WM-Qualispiel fordern, verliert sich aber immer wieder in nostalgischer Schwärmerei

Im Schatten des Alt­vorderen: Ianis Hagi, Sohn des großen Gheorghe Hagi, im Trikot des Nationalteams Foto: ap

Von Frank Hellmann

Die lange Abstinenz nagt an einer Fußballnation. Seit 1998 hat Rumänien nicht mehr an einer Weltmeisterschaft teilgenommen. Und jüngst bei der Europameisterschaft war zwar das aufwendig erneuerte Nationalstadion von Bukarest dabei, nicht aber die rumänische Auswahl, die in der Fifa-Weltrangliste auf Platz 42 abgerutscht und aktuell in der WM-Qualifikation nur Gruppendritter ist. Dass der Zwischenstand nicht zufriedenstellt, weiß Nationaltrainer Mirel Radoi, von dem nicht am Freitag in Deutschland, wohl aber am Montag im Heimspiel gegen Armenien ein Sieg erwartet wird. Der ehemalige Leistungsträger von Steaua Bukarest muss damit leben, immer wieder auf die Generation Hagi angesprochen zu werden, die sich in den 1990er Jahren regelmäßig für eine WM oder EM qualifizierte.

„Im Fußball wie auch im Leben haben wir häufig das verlorene Paradies im Kopf, das wir uns geistig und emotional aufgebaut haben. Deshalb denken wir, wenn wir älter werden, dass unsere Kindheit und Jugend die schönste Zeit überhaupt war. Aber jede Generation glaubt das“, erklärt Radoi in einen Interview. Er erinnert an die Wellenbewegungen vieler osteuropäischer Nationen, die einer längst verblassten Hochphase nachtrauern: Ungarn, Polen oder Bulgarien. Die daraus resultierenden Erwartungen seien meist keine Hilfe: „Sie bringen einen zusätzlichen Druck mit sich.“

Der Termin: In Hamburg findet das WM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Rumänien statt. RTL überträgt am Freitag ab 20.45 Uhr. Das Hinspiel hatte die DFB-Auswahl mit 1:0 gewonnen.

Die Deutschen: Hansi Flick ist als Bundestrainer mit drei Siegen gestartet. In den WM-Qualispielen gegen Rumänien sowie drei Tage darauf in Skopje gegen Nordmazedonien peilt der 56-Jährige die Erfolge vier und fünf an. Sein Vorgänger Joachim Löw war 2006 exakt mit fünf Siegen gestartet, ehe er sich im 6. Länderspiel mit einem 1:1 gegen Zypern begnügen musste.

Gruppe J: Das deutsche Team führt die Gruppe nach sechs von zehn Spieltagen mit 15 Punkten vor Armenien (11) und Rumänien (10) an. Im Idealfall könnte der viermalige Weltmeister mit zwei Siegen vorzeitig als Gruppensieger das Ticket für die WM in Katar lösen.

Aber schön war die Zeit ja allemal, wie der als Karpaten-Maradona titulierte Gheorghe Hagi die Rumänen bei der WM 1994 zum Sensationssieg gegen Argentinien dirigierte. Dessen Sohn Ianis Hagi wird wohl zeit seiner Karriere mit den Vergleichen konfrontiert. Der 22-Jährige litt zuletzt an den Folgen einer Covid-19-Infektion, kam sowohl in der Nationalelf als auch bei den Glasgow Rangers in der Lehrstunde gegen Bayer Leverkusen (0:4) nur als Einwechselspieler zum Zuge. Hagi junior gehörte 2019 zu jenem hoffnungsvollen Nachwuchsteam, das bei der U21-EM erst im Halbfinale an Deutschland scheiterte. Auf der Trainerbank saß Radoi. Der 40-Jährige glaubt daher, „dass sich die Dinge in den vergangenen zehn Jahren zum Besseren gewendet haben, vielleicht nicht so schnell, wie wir es uns alle wünschen würden“.

Als Anker im A-Team, das das Hinspiel gegen Deutschland im Frühjahr nur knapp mit 0:1 verlor, gilt ein Glatzkopf: Abwehrrecke Vlad Chi­ri­cheș, der mit 17 Jahren bereits zu Benfica Lissabon kam, auch bei Tottenham Hotspurs und SSC Neapel spielte und derzeit bei US Sassuolo in Italien unter Vertrag steht. Vom 31 Jahre alten Routinier heißt es, dass er aus seinem Talent sicher mehr hätte machen können. Ein Etikett, das vielen Mitspielern anhaftet. Nächstes Beispiel ist der ehemalige Bundesligaspieler Alexandru Maxim, 31, mittlerweile beim türkischen Erstligisten Gaziantep FK unter Vertrag. Der Mittelfeldspieler kann am Ball vieles, aber mit dem professionellen Anspruch nicht immer umgehen. Folglich rauschte der filigrane Techniker beim VfB Stuttgart und FSV Mainz 05 durch.

Aber schön war die Zeit allemal, als der Karpaten-Maradona seine Gegner narrte

Eine ähnliche Erfahrung erlebt vielleicht auch Dragoș Nedelcu, 24, der im Sommer zum Zweitligisten Fortuna Düsseldorf wechselte, anfänglich gut startete, zuletzt aber nur auf der Bank oder Tribüne saß. Und so geht die Geschichte auch bei Dennis Man, 23, der Anfang des Jahres für angeblich 13 Millionen Euro zu Parma Calcio wechselte, dann direkt in die zweite Liga abstieg.

Das alles aber sollte die Ansprüche der rumänischen Auswahl nicht mildern, findet Marcel Răducanu, als Spielmacher bei Borussia Dortmund einer der besten Botschafter seines Landes, der seit 1994 in Dortmund eine Fußballschule betreibt. „In dieser WM-Qualifikationsgruppe müssen wir einfach Rang zwei belegen, alles andere wäre sehr bitter“, sagt der 66-Jährige. „Deutschland thront über allen und wird nicht zu stoppen sein.“