Erst mal verdächtigen

Die FDP wittert Links­ex­tre­mis­mus bei der Gedenkstätte Bunker Valentin anhand ungeprüft übernommener Fake News. Ihr Misstrauen gegen zivilgesellschaftliche Träger hat Tradition

Ein wahrer Satz. Die FDP nimmt an ihm Anstoß Foto: Teutopress/imago

Von Lotta Drügemöller

Die FDP macht sich Sorgen, Sorgen um die Demokratie. Ein vermeintlicher „links-extremistischer Aushang“ im Bunker Valentin veranlasste die Fraktion zu einer Frage in der Bürgerschaft.

„Inwieweit“, heißt es dort etwas umständlich, „hat der Senat Kenntnis von dem Fall, der in die Fallstatistik für 2020 des Landesamts für Verfassungsschutz aufgenommen wurde, der auf eine Meldung wegen eines links-extremistischen Aushangs am Schwarzen Brett im Seminargebäude der Landeszentrale für politische Bildung beim Bunker Valentin durch einen Mitarbeiter zurückging?“

Fragen um zu unterstellen

Den Vorfall, den die FDP-Fraktion hier nennt, gab es so nicht. Was tatsächlich passiert war: Ein Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung (LZPB) hatte Anfang 2020 ein Plakat ans Schwarze Brett gehängt: „Nazis töten. In Gedenken an die Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt“, steht darauf, versehen mit den Hashtags #NSU #Walter Lübcke #Halle #Hanau“. Ein ehemaliger Mitarbeiter interpretierte das frei als Aufforderung, Nazis zu töten und meldete es als „linksextremistischen Vorfall“ an den Verfassungsschutz.

„Er hat uns gesagt, dass der Verfassungsschutz den Vorfall in seine Statistik aufgenommen habe“, erzählt Thomas Köcher, Amtsleiter der LZPB, „wir stünden nun unter Beobachtung.“ Eine Landeszentrale für politische Bildung, unter Beobachtung des Verfassungsschutzes? Und das wegen eines Plakates, das nur mit viel Willen missverstanden werden kann? Das klingt überraschend – und ist in der Tat eine Lüge.

Tatsächlich konnte der Verfassungsschutz keinen linksextremistischen Hintergrund erkennen und nahm den Vorfall folglich auch in keine Statistik auf. Der LZPB hatte das Amt das auf Nachfrage auch mitgeteilt. Die FDP hingegen hatte vor ihrer Frage in der Fragestunde nicht beim Verfassungsschutz nachgehakt, sondern die Falschdarstellung unhinterfragt übernommen. Zu ihrer Quelle möchte sich die Fraktion nicht äußern; viele Stellen kommen allerdings nicht in Betracht.

Die FDP-Abgeordnete Birgit Bergmann, die als Fragenstellerin namentlich auftaucht, sieht kein Problem. „Wenn wir nicht genau wissen, was Sache ist, stellen wir eben eine Anfrage“, so die Abgeordnete. „Ich mag mich nicht dafür verteidigen, dass ich eine Frage gestellt habe.“ Dass die Frage den erfundenen „linksextremistischen Aushang“ in der Statistik des Verfassungsschutzes als Fakt in den Raum stellt, will sie nicht kommentieren.

Wahrheit? Lüge? Hauptsache Öffenglichkeit

Warum aber hatte sie sich nicht vorab bei der LZPB selbst erkundigt? Einen direkten Draht hätte sie ja: Bergmann ist Mitglied im LZPB-Beirat. Die Abgeordnete erklärt ihr Handeln auch mit dem Wunsch nach Öffentlichkeit: „Wenn so was im Raum steht, muss es von oben bearbeitet werden“, sagt sie. „Dann bekommt das Thema eine andere Reichweite.“

Köcher sieht die Anfrage in einem größeren Kontext von Angriffen auf politische Bildung, die für gewöhnlich von weit rechts kämen. „Es ist überaus bedauerlich, dass sich die FDP daran beteiligt“, sagt er. Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass die FDP in der Bürgerschaft Angst vor Linksradikalen schürt und Organisationen der politischen Bildung in den Verdacht der politischen Radikalisierung stellt. Schon im Mai setzte sie den Schutz der „demokratischen Gesellschaft“ vor „linksextremistischen Strömungen“ auf die Tagesordnung. Die staatliche Unterstützung bestimmter zivilgesellschaftlicher Akteure will sie durch „Einführung einer Extremismusklausel als Vorbedingung für den Erhalt staatlicher und städtischer Fördermittel“ stärker gängeln.

Etwas bleibt stets hängen

Die FDP steht mit dem Misstrauen nicht allein, auch die CDU hatte zuletzt mehrfach zivilgesellschaftliche Organisationen als gewaltbereit und radikal diffamiert – und gefordert, ihnen die Unterstützung zu entziehen. Der Vorwurf richtete sich gegen den Verein Kulturbeutel, das „Alte Sportamt“ und die Naturfreundejugend als Träger des Jugendhauses Buchte.

Es sei gefährlich, Institutionen der freiheitlichen Demokratie „auf diese Art und Weise verdächtig zu machen“, schreibt Nelson Janßen, Fraktionsvorsitzender von Die Linke, nach der jüngsten Frage der FDP. Die Verdächtigungen seien letztlich „gegen die demokratische Arbeit dieser Orte selbst“ gerichtet.

Köcher sieht das ähnlich. „Es ist schlimm, dass jetzt mit dem Bunker Valentin eine Gedenkstätte in die extremistische Ecke gestellt wird“, sagt er. „Das spielt jenen in die Karten, die eine erinnerungspolitische Wende fordern.“ Er hofft, dass der Angriff keine Folgen hinterlässt: „Auch wenn gar nichts dran ist: Im Bewusstsein von manchen Menschen bleibt doch etwas vom Vorwurf kleben.“