Im Geiste der Marine

Im Verein ist Kunst am schönsten (12): Die Kunstvereine zählen seit 2021 zum immateriellen Weltkulturerbe. Ihre Erkundungs- und Vermittlungsarbeit macht Gegenwartskunst für jeden erfahrbar – noch bevor sie im Museum einstaubt. Die taz erkundet ihren Beitrag zum norddeutschen Kulturleben in Porträts. Diesmal: Wilhelmshaven

By the See war eine maritime Kunsthallen-Ausstellung ephemerer Arbeiten – und ist bereits vorbei Foto: Jenny Rosentreter / Kunsthalle WHV

Von Bettina Maria Brosowsky

Was hat ein Kunstverein mit der Kriegsmarine gemein? In Wilhelmshaven, diesem ab 1869 aus dem Boden gestampften preußischen Werft- und Marinehafen, ist die Frage nicht nur berechtigt, sie ist sogar existenziell. Denn der im Januar 1912 gegründete Verein der Kunstfreunde Wilhelmshaven sowie der damals noch selbständigen oldenburgischen Stadt Rüstringen ging auf eine Initiative des Admirals Friedrich Graf von Baudissin zurück, der zwischen 1909 und 1913 als Chef der Marinestation amtierte. Der Doppelstadt, die zwar emsig wuchs, fehle kulturelles Leben. Es sei deshalb notwendig, sie „etwas schmackhafter zu gestalten, als es von der Natur geschehen ist“, so Baudissin.

Dank guter Kontakte zum Hof ging mit der Vereinsgründung sofort auch der Bau einer eigenen, wenngleich überschaubaren Kunsthalle einher, die zudem reichsweite Leihgaben erwarten durfte. Im November 1912, noch im Rohbaustadium, zeigte die Kaiser-Friedrich-Kunsthalle ihre erste Ausstellung: programmatische Gedanken des Hamburger Gartenarchitekten Leberecht Migge zu Volks- und Stadtparks.

Im Februar 1913 eröffnete sie dann offiziell. Baudissin hoffte, sie möge bald zu klein werden für ihren Bildungsauftrag, so als Ansporn für ein großes Kunstmuseum dienen. Wilhelmshaven und vor allem das „rote Rüstringen“ legten eigene Kunstsammlungen an, die im Gegensatz zur komplett zerstörten Kunsthalle den Zweiten Weltkrieg überdauerten.

Ein Neubeginn der 1933 gleichgeschalteten Kunstfreunde wurde von der britischen Militärregierung gefördert. Eine Holzbaracke diente ab 1946 als Provisorium, 1968 gab es endlich die neue Kunsthalle: ein architektonisches Kabinettstück, im Inneren aus drei verschränkten Ebenen, die um eine zentrale Wandscheibe in Sichtbeton lagern. Zum 100-jährigen Bestehen bekräftigte Kulturphilosoph Bazon Brock dann die Geistesverwandtschaft von Hochseefahrt und Kunst: In beiden Bereichen bestünden die Prot­ago­nis­t:in­nen nur Kraft ihres Intellekts in abstrakten Denk- und Vorstellungsräumen. „Insofern beförderten seefahrende Nationen den Gedanken einer Weltzivilisation“, hieß es in seiner Festrede.

Der stellte sich prompt ein: 2014 irrlichterte in den Köpfen kommunaler Sparfüchse die Idee, die Kunsthalle aufzugeben und die Aktivitäten der Kunstfreunde ins Dachgeschoss des örtlichen Küstenmuseums zu verlagern, auf das dort ein richtiges Stadtmuseum erwachse. Nach personellen Turbulenzen wurde die Kunsthalle dann doch nicht verhökert, sondern der lokalen Freizeit- und Tourismusförderung unterstellt. Damit kann Petra Stegmann, seit Oktober 2018 Leiterin des Hauses, gut leben. Denn der Tourismus-Eigenbetrieb gewähre eine weitgehende Autonomie, die sich bis in die eigene, vollständig überarbeitete Außendarstellung durchhalten lasse. Der offensive Neuauftritt tut der Kunsthalle gut: Man habe sich viel zu lange „unter Wert verkauft“, so Stegmann.

Deren künstlerische Interessen gelten Naturphänomenen, prozessualen Formen wie Fluxus und der Installation, also nicht der aufgehängten Flachware. Sie zog schon mal mit den Arbeiten historischer Wald­künst­le­r:in­nen in den Neuenburger Forst. Die Ausstellung „By the Sea“ dokumentierte jüngst ephemere Aktionen in und mit dem Wasser ebenso wie größere Werke der Land Art. Eine begleitende Outdoor-Aktion auf Position 53°30‘53.7“N 8°09‘21.9“E, dem Molenkopf der ehemals zweiten Hafeneinfahrt, war die Performance „The Mariners’ Round Robin“ mit der norwegischen Künstlerin Ina Hagen: Teil­neh­me­r:in­nen verfassten ein gemeinschaftliches Dokument mit Unterschriften in Kreisform, einen Runden Robin, wie ihn Seeleute traditionell in brisanten Situationen nutzten, damit kein Rädelsführer ihrer schriftlichen Eingabe identifiziert werden konnte.

Für frischen Wind in der Wilhelmshavener Kunsthalle sorgen ansonsten Künst­le­r:in­nen aus Berlin, Stegmanns früherem Wirkungsort. Sie können der abgewetzten Marinestadt ohnehin viel abgewinnen, die unerwarteten Räume der Kunsthalle leisten dann letzte Überzeugungsarbeit. Erstaunlich viele von ihnen hätten Wilhelmshaven-Bezüge, meint Stegmann, die Stadt verfüge trotz ihrer geringen Größe über einen bemerkenswerten künstlerischen Output und eine lebendige kulturelle Szene.

Die Wilhelmshavener Kunstfreunde zählen rund 400 Mitglieder, drei feste Stellen sowie Honorarkräfte bilden das Kunsthallen-Team. Stegmann generiert erfolgreich Fördergelder: dringend notwendig, erreicht das platte Land aus der Förderquelle des Hannoveraner Wissenschaftsministeriums doch nur ein kleines fünfstelliges Rinnsal. Als nächstes steht die Ausstellung der Nominierten der Nordwestkunst an, eines 1999 ins Leben gerufenen, alle zwei Jahre ausgelobten länderübergreifenden Nachwuchspreises.

Nordwestkunst: 16. 10.–21. 11., online: www.kunsthalle-wilhelmshaven.de