Akt der Versöhnung

Das erste deutsche Gastspiel von Mesut Özil steht im Mittelpunkt, wenn Eintracht Frankfurt gegen Fenerbahçe Istanbul in die Europa League startet

Noch in der Aufwärm­phase: Mesut Özil, Spieler von Fenerbahçe Foto: ap

Aus Frankfurt Frank Hellmann

Die Anschrift der neuen Geschäftsstelle von Eintracht Frankfurt lautet „Im Herzen von Europa 1“. Angelehnt an die Vereinshymne, wird mit der Adresse aber auch „die Verbundenheit von Eintracht Frankfurt mit Europa, die internationale Sehnsucht und Weltoffenheit der Region zum Ausdruck gebracht“, so Vorstandssprecher Axel Hellmann zur Einweihung. Es gibt tatsächlich kaum einen anderen Bundesligastandort, der Europapokalspiele mit einer solchen Überzeugung als Feiertage zelebriert – dafür reicht bereits die Europa League.

Der Frust über die auf der Zielgerade verspielte Champions-League-Teilnahme ist längst verraucht. Alle Eintracht-Offiziellen tragen maßgeschneiderte Anzüge, um die Festtagsstimmung zu unterstreichen. Zum Auftakt der Europa League hätte es kaum einen besseren Gegner als Fe­ner­bah­çe Istanbul (Donnerstag, 21 Uhr) geben können, bei dem neben dem ehemaligen Bayern-Profi Luiz Gustavo oder dem einstigen Schalker Max Meyer auch Mesut Özil spielt.

Der mit der WM 2018 in Ungnade gefallene Weltmeister tritt erstmals seit dreieinhalb Jahren wieder in einem deutschen Stadion an, nachdem seine Fotos mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, ein Jahr später sogar sein Trauzeuge, den Deutschen Fußball-Bund (DFB) auf allen Ebenen überfordert hatten. Die multikulturelle Mainmetropole könnte der passende Ort für eine erste Versöhnung werden. Viele türkischstämmige Besucher unter den 25.000 Zuschauern werden Özil applaudieren.

Schon vor zwei Jahren war der 92-fache Nationalspieler im Frankfurter Stadtwald beim Europa-League-Spiel gegen den FC Arsenal erwartet worden, gehörte aber kurzfristig nicht zur Londoner Reisegruppe. Als Grund wurde seine gestörte Beziehung zu Deutschland vermutet.

Doch mittlerweile hat der 32-Jährige mit diesem Teil seiner Vergangenheit wohl seinen inneren Frieden gemacht.

Im Interview mit dem Sportinformationsdienst ist beim gebürtigen Gelsenkirchener keine Verbitterung herauszuhören. Im Gegenteil. Er bedauere, wegen der Coronasituation nicht seine Familie, „die im Stadion sein wird, ausführlich vor oder nach dem Spiel“ zu treffen. Gleichzeitig unterbreitete Özil ein Angebot zur Aussprache mit Joachim Löw: „Jogi kennt sich ja auch in Istanbul bestens aus und ist jederzeit zu einem Fenerbahçe-Heimspiel eingeladen.“ Das Angebot des Weltmeisters von 2014 jedenfalls steht.

Özil fühlt sich beruflich und privat am Bosporus nach eigenem Bekunden pudelwohl. Die im März 2020 geborene Tochter Eda würde dafür sorgen, „dass man eine ärgerliche Niederlage auf dem Fußballplatz doch recht schnell wieder vergessen kann“. Vor einem Jahr war Özil von Arsenal zu Fe­ner­bah­çe gewechselt und trägt stolz die Kapitänsbinde.

Die „Kanarienvögel“ seien ja seit Kindheitstagen sein „absoluter Lieblingsverein“ gewesen, den er möglichst zum 20. Meistertitel in der Süper Lig führen will, die Fenerbahçe letztmals 2014 gewann.

„Jogi kennt sich ja auch in Istanbul bestens aus“

Mesut Özil

An der Eintracht imponiert ihm, sagt Özil, wie ernst sie die Europa League nähmen, „das kann man nicht von jeder deutschen Mannschaft behaupten“. Die erste Partie in der Gruppe mit Olympiakos Piräus und Royal Antwerpen sei „wahrscheinlich gleich mal das schwerste der sechs Gruppenspiele“.

Stimmungsvoll wird es auf jeden Fall: Die noch nicht richtig in Tritt gekommenen Hessen haben von fünf Pflichtspielen noch keines gewonnen, doch bei den Heimauftritten gegen den FC Augsburg (0:0) oder den VfB Stuttgart (1:1) übertönten die Europacup-Chöre am Ende alles. Ein Gewöhnungseffekt will auch bei der dritten Teilnahme im vierten Jahr nicht eintreten. „Wir wollen ein Zugpferd der Bundesliga in Europa sein“, fordert Frankfurts Sprachrohr Hellmann.

2019 kämpfte sich die Eintracht bis ins Halbfinale gegen den FC Chelsea; auch 2020 wäre es vermutlich noch weitergegangen als nur bis ins Achtelfinale gegen den FC Basel, wenn nicht das aufkommende Coronavirus ein erstes Geisterspiel erzwungen hätte, das die Eintracht mit 0:3 verlor.

Der neue Trainer Oliver Glasner kennt das spezielle Fluidum nur vom Hörensagen – und wird es auch jetzt nicht erleben. Weil der Österreicher beim VfL Wolfsburg seine Mannschaft gleich dreimal nach der Halbzeit zu spät aus der Kabine schickte, brummt er eine Uefa-Sperre ab. Assistent Michael Angerschmid übernimmt. Glasner kann seine Stimme für Sonntag schonen, wenn es zu seinem Ex-Verein Wolfsburg geht. Im Europokal benötigen seine Spieler ohnehin keine besondere Ansprache, wie der Schweizer Nationalspieler Djibril Sow verriet: „Als Spieler hat man in Frankfurt die Gewissheit, dass es ein spezieller Abend wird.“