PRENZLAUER BERG: Falsch eingeschätzt
„Wie eine duftige Wolke an einem heiteren Himmel“, sagt J. und schaut ihr nach. Im bauschigen Röckchen geht sie und in eine luftige Bluse gehüllt. Am Ohr schweben Federn, im Haar steckt eine Margerite, der Rock wippt bei jedem Schritt. Sie quert die Kreuzung und betrachtet Obst in der Auslage gegenüber. K. und G. sind auf reifes, gutes Obst spezialisiert, auf leckere Pasten. Wenn ich vormittags komme, sind sie bereits Stunden bei der Arbeit, wenn ich abends gehe, sind sie noch stundenlang beschäftigt. „Wie schaffst du das“, habe ich G. gefragt. Er wies auf eine Wohnung im Eckhaus. „Weil ich dort wohne“, antwortete er. „Sonst ginge das nicht.“
Tags sitzen sie im Schatten eines Baumes auf Barhockern, wenn keine Kunden da sind. K. stützt dann den rechten Arm auf einen Elektrizitätskasten, G. den linken. Der Kasten dient ihnen auch als Abstellfläche für Tassen und Flaschen, denn die Fläche um den Elektrizitätskasten ist in der milden Saison ihr Wohnzimmer. Von dort aus behalten sie ihr Geschäft im Auge.
Mittags erhebt sich K. und schlappt über die Kreuzung. Immer in seine große Schürze gehüllt. Er hält dann mit der Nachbarin ein Schwätzchen, isst in dem Restaurant, in dem sie bedient, nimmt einen Kaffee in der Sonne. Danach schlappt er wieder zurück in seinen Laden.
Der Kiez wird auch bewohnt von einem Hund. Niemals würde er seiner Herrin vorauseilen, den Abenteurer, den Forscher mimen, nein, er geht stets hinter ihr, oft in einem großen Abstand. Riecht, was vor einer Weile vorbeigegangen ist, träumt rum, trödelt. Sie wartet, er bummelt. An einem der extrem heißen Tage legte er sich flach aufs Pflaster, kühlte Bauch und Hals und wollte sich partout nicht wieder erheben. „Aber ich habe dich doch gefragt, ob du mitwillst“, sagte sie. Der Hund in seinem dicken Pelz hatte die Wetterlage offensichtlich völlig falsch eingeschätzt. GUNDA SCHWANTJE
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