: Taliban erobern das Pandschir-Tal
In Afghanistan kontrollieren die Taliban jetzt mit der Eroberung der letzten, von bewaffneten Gegnern gehaltenen Provinz Pandschir das ganze Land. Ihre Gegner hatten keinerlei auswärtige Hilfe bekommen
Von Thomas Ruttig
Nach fünftägigem Kampf haben die Taliban mit Pandschir auch die letzte afghanische Provinz erobert. Talibannahe Accounts in sozialen Medien zeigten am Sonntagabend ihre Kämpfer vor dem Verwaltungsgebäude des Provinzzentrums Basarak. Am Montag verkündete Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid vor der Presse in Kabul die Eroberung.
Das Pandschir-Tal nordöstlich von Kabul war in den 1980er und 90er Jahren unter dem 2001 ermordeten Mudschaheddinkommandeur Ahmad Schah Massud eine Hochburg des Widerstands gegen die sowjetische Besatzung und das erste Talibanregime. Die dort von Massuds Sohn Ahmad gegründete sogenannte Nationale Widerstandsfront gestand die Niederlage nur indirekt ein.
Am Montag hieß es auf ihrem offiziellen Twitter-Account nur: „Wir geben nicht auf“, ihre Kämpfer hielten „strategische Positionen“ in den Bergen des Pandschir und setzten den Widerstand fort. Mudschahid sagte, die Taliban seien „sehr empfindlich, was Aufstände anbelangt. Jeder, der einen Aufstand zu beginnen versucht, wird hart getroffen. Wir werden nicht noch einen erlauben.“
Die Bewegung im Pandschir bestand aus lokalen Milizen und Einheiten der früheren Regierungsarmee inklusive Elitetruppen, die sich nach Kabuls Fall dorthin zurückgezogen hatten. Die Milizen erwiesen sich als die Achillesferse. Ihre Kapitulation ermöglichte den Taliban den Zugang in das schwer erreichbare Tal. Die Bewegung bestätigte schwere Verluste, darunter den Tod ihres Sprechers, des Journalisten Fahim Daschti, sowie prominenter Kommandeure, darunter ein Cousin von Massud senior. Der frühere Parlamentsabgeordnete Saleh Muhammad Registani, ein engster Berater Ahmad Massuds, sei schwer verletzt.
Die Widerstandsfront beschuldigte Pakistan, den Taliban Drohnen für die Angriffe geliefert zu haben. Belege dafür gibt es bisher nicht. Wo sich die beiden Führer der Widerstandsfront, Massud und Ex-Vizepräsident Amrullah Saleh, aufhalten, ist unbekannt. Saleh könnte in Tadschikistan sein, wo ihn US-Journalisten Ende letzter Woche gesehen hatten. Offenbar versuchte er, internationale Unterstützung zu mobilisieren.
Die blieb aus. Frühere Unterstützer wie Russland und Iran arrangierten sich inzwischen realpolitisch mit den Taliban. Westliche Regierungen, die den älteren Massud unterstützt hatten, dürften nach ihrem Scheitern in Afghanistan kaum Appetit auf die Verwicklung in einen neuen bewaffneten Konflikt haben. Zudem fehlt den Kämpfern der Landzugang ins Ausland als Nachschubroute.
Doch vor allem ihre Machtpolitik unter US-Schutz hat sie in den letzten Jahren von potenziellen Verbündeten unter den Paschtunen entfremdet. Äußerungen der Pandschir-Front, dass „der Norden sich wieder erheben“ werde, sowie von Ex-Verteidigungsminister Bismillah Muhammadi, der ebenfalls aus Pandschir stammt, dass „unsere letzte Option die Teilung des Landes“ sei, dürften die ethnische Kluft vertiefen. Ein Guerillakrieg könnte für die Taliban zudem ein Vorwand für verschärfte Repression sein. Schon während der ersten Taliban-Herrschaft bis 2001 wurden Anschläge in Kabul der damaligen Widerstandsbewegung zugeschrieben und mit öffentlichen Hinrichtungen angeblicher Täter beantwortet.
Während der Kämpfe traf der Chef von Pakistans Militärgeheimdienst, General Faiz Hameed, Samstagabend in Kabul Talibanführer. Die Pandschir-Front sah darin Koordinierungshilfe für die Taliban, er könnte aber auch eine Vermittlerrolle gespielt haben. Sein offen publizierter Besuch – der hochrangigste bei den Taliban seit ihrer Übernahme Kabuls – ist auch ein Signal, dass Pakistan das Nachbarland als seine Einflusssphäre betrachtet. Pakistan hat die Taliban immer unterstützt, das aber stets bestritten.
Talibansprecher Mudschahid verkündete in Kabul, dass vier an Übergriffen auf protestierende Frauen am Samstag in Kabul beteiligte Kämpfer verhaftet wurden. Er sagte auch, solange es keine neue Regierung gebe, sei „keine Zeit für Proteste“. Afghanischen Onlinemedien zufolge gab es am Montag neue Frauenproteste, diesmal in der nördlichen Großstadt Masar-i-Scharif. Demnach versammelten sich die Frauen unter einem Mosaik Massud seniors.
Zugleich wurde bekannt, dass Talibankämpfer in der Provinz Ghor eine schwangere Polizistin erschossen hätten, die zuvor im örtlichen Gefängnis tätig war. In Masar blockieren die Taliban vier Evakuierungsflugzeuge einer US-Organisation. Diese beschuldigte das State Department, die Taliban nicht von der Einreiseerlaubnis für die etwa 1.000 Passagiere informiert zu haben.
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