Ausgehen und rumstehen von Marielle Kreienborg
: Bonsoir Liberté oder die Ikonen des französischen Feminismus

Als sie noch jünger gewesen sei, erzählt Julia Korbik auf der Sommerbühne des Neuköllner Heimathafens, wo sie an einem lauen Sonntagabend vor überschaubarem Publikum und gegen die Konkurrenzveranstaltung grillend-grölender Nach­ba­r*in­nen ihr neues Buch „Bonjour Liberté“ vorstellt, sei es ihr wichtig gewesen, dass Frauen sich – privat wie öffentlich – als Feministinnen bezeichneten.

Frauen wie Simone de Beauvoir: die Ikone ihres letzten Buches. Jede Frau, die etwas auf ihre Unabhängigkeit hält, hat Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ entweder gelesen oder zumindest seine Schlagwort-Sätze im Ohr: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“, lautet der bekannteste.

Julia Korbik, die in Berlin als Autorin und freie Journalistin wirkt, hat über de Beauvoir ein Buch geschrieben, das seine Le­se­r*in­nen zu ihrer Wiederentdeckung einlädt. Nun widmete sie sich wieder einer französischen, ebenfalls ikonischen Frau, der es jedoch nicht eingefallen wäre, sich als Feministin zu bezeichnen: Françoise Sagan, durch den Erfolg ihres Debütromans „Bonjour Tristesse“ mit gerade einmal achtzehn Jahren der Öffentlichkeit ausgesetzt. Auf die Freifläche Sagan wurde auch prompt projiziert: sorgloses Partygirl, ewige Kindfrau, sich rigoros weigernd, erwachsen zu werden, verarmt verstorben, morphiumabhängig, das elende Ende einer schillernden Existenz.

Sagan wurde von den vorwiegend männlichen Kritikern nie ernst genommen: „Vertreterin der zeitgenössischen Erotinnen-Literatur“ titelte der Spiegel im Jahr 1960. Man wusste nichts anzufangen mit einer Frau, die sich nichts aus dem Platz machte, der ihr gesellschaftlich zugedacht war, und stattdessen früh zu einer anderen Erkenntnis kam: „Alles in allem geben Whisky, Ferrari, Glücksspiel ein unterhaltsameres Bild ab als Stricken, Haushalt, Sparsamkeit.“

Sie habe das Gefühl gehabt, sagt Julia Korbik, dass sie von Sagan noch viel lernen könnte, nicht nur, was das savoir vivre angehe, sondern, schreibt sie in ihrem Buch, „dass der Humor manchmal tatsächlich die beste Waffe ist, dass man seine Kämpfe sorgfältig aussuchen sollte und dass am Ende zählt, was man wirklich getan hat“.

Françoise Sagan hat sich in einer Zeit, in der Frauen viel mussten und wenig durften, die Freiheit genommen, einen eigenen Lebensentwurf zu wagen, statt demütig darauf zu warten, dass jemand anderes ihr die Erlaubnis erteilte. Einer Zeit, in der viele Frauen, erzählt Korbik, nachdem sie sich während des Krieges auf verschiedenste Weise um ihr Land verdient gemacht, es am Laufen gehalten hätten, nicht länger bereit waren, sich einzig und allein auf Haushalt und Ehemann zu konzentrieren. Einer Zeit, die, wohlgemerkt, nicht zu den sorgenfreien zählte: Der Zweite Weltkrieg war keine zehn Jahre vorüber, der Alltag war hart und von Entbehrungen geprägt.

Eine Frau, die sich nichts aus dem Platz machte, der ihr zugedacht war

Sagan kam aus gutbürgerlichem Hause: Wäre ihr Romanprojekt gescheitert wie ihr Studium, sie wäre weich gefallen. Wenn der „schmale Roman, der für einen weltweiten Skandal gesorgt hat“, wie Sagan ihn einmal selbstironisch nannte, dennoch für Furore sorgt, die bis ins Jahr 2021 anhalten, liegt das vermutlich weder an Sagans Mondänität noch an ihrer ausgeklügelten Koketterie.

Viel eher mag es daran liegen, dass sie sich bereits 1954 zu einer emotional kruden Klaviatur bekannte, die von Liebe, Neid, Hass, Frustration, Manipulation, Trauer, Einsamkeit und existenzieller Leere alles abdeckte und die ihre Protagonistin Cécile dazu veranlassten, das Fenster eines schnellen Wagens aufzukurbeln, um nicht zu ersticken an engmaschigen Weiblichkeitsentwürfen.