: „Ich schreibe doch genauso für euch“
ROMAN Die pakistanische Autorin Kamila Shamsie über ihr neues Buch und die Welt vor und nach dem 11. 9. 2001
■ Ihre Herkunft: 1973 geboren, in Karatschi aufgewachsen. Ging als Achtzehnjährige in die USA und studierte kreatives Schreiben. Lebt heute in London. Ihre Mutter, Muneeza Shamsie, gilt als einflussreichste Kritikerin Pakistans für englischsprachige Literatur.
■ Ihre Romane: Der erste Roman, „In the City by the Sea“, erschien 1998. Mittlerweile hat sie fünf weitere Romane veröffentlicht. Zuletzt erschien „Verglühte Schatten“. Die Erzählung setzt mit dem Abwurf der Atombombe auf Nagasaki eine Handlung in Gang, die ihre Protagonisten über mehrere Kontinente verstreuen wird und nach dem Jahr 2001 ein offenes Ende findet.
INTERVIEW KATHARINA GRANZIN
taz: Sie sagten in einem Interview, das Erste, was Sie von Ihrem Roman „Verglühte Schatten“ hatten, sei das Bild einer Frau gewesen, in deren Rücken sich nach dem Abwurf der Atombombe in Nagasaki das Kimonomuster eingebrannt hat. Fing es wirklich damit an? Hatten Sie nicht vorher schon über Nagasaki nachgedacht?
Kamila Shamsie: Natürlich habe ich über Nagasaki schon vorher nachgedacht. Aber ich hatte keine Idee, wie ich einen Roman daraus machen könnte. Da habe ich „Hiroshima“ von John Hersey gelesen, schon mit dem Gedanken im Hinterkopf, einen Zugang zu dem Thema finden zu wollen. Und Hersey schildert tatsächlich dieses Detail, wie sich durch die Hitze der Bombe den Frauen die dunklen Muster ihrer Kimonos in die Haut einbrannten. Und so hatte ich dann dieses Bild einer Frau mit den Vögeln auf ihrem Rücken vor Augen. Und von diesem Moment an dachte ich: Hier habe ich eine Person, über die ich einen Roman schreiben kann.
War es klar, dass sie die zentrale Figur werden würde?
Zu Beginn dachte ich, dass sie zwar im Hauptteil die wichtigste Rolle spielen würde und später ihr Sohn oder vielleicht ihr Enkel wichtiger würde. Aber je mehr ich schrieb, desto mehr interessierte sie mich. So ist sie zur Konstante des Romans geworden.
Der Roman handelt sehr stark davon, wie es ist, sich in einer anderen als der gewohnten Kultur zu bewegen. Hat sich dies auch erst beim Schreiben entwickelt?
Es fing an, als ich mich mit Nagasaki zu beschäftigen begann – das, anders als der Rest Japans damals, eine lange Tradition der Beziehungen zum Westen hatte. Ich begann mich für die damaligen Außenseiter zu interessieren, die dort hinkamen, wie Konrad, den deutschen Verlobten meiner Protagonistin Hiroko, der durch den Atombombenabwurf getötet wird. Beim Schreiben hat sich diese Vorstellung von Menschen, die in eine fremde Umgebung kommen, verselbstständigt. In jedem Abschnitt des Romans geht es um jemanden, der neu an einem Ort angekommen ist, und um die Interaktion, die sich entwickelt. Es gibt einerseits einen Charakter wie Hirokos Sohn Reza, der in Pakistan geboren ist und sich trotzdem nicht zu Hause fühlt. Und andererseits die Mutter oder Hiroko, die sich wahrscheinlich nie wirklich als Einheimische in Karatschi fühlt, sich aber dort wohlfühlt und dort mehr zu Hause ist als ihr Sohn.
Reza gerät im Laufe der Handlung in ein Ausbildungslager der Mudschaheddin. Was wollten Sie damit zeigen?
Dieser Handlungsstrang spielt in den Achtzigerjahren, als die Mudschaheddin oft als respektable Widerstandskämpfer angesehen wurden und nicht als Islamisten. Mein Reza wäre sicher niemals in die Fänge der Taliban geraten, das ist ein Unterschied. Er hätte sich umgedreht und wäre davongerannt! Bei den Männern, die Reza trifft, ist die Religion zwar da, aber es geht ihnen in erster Linie um ihr Land.
Um Afghanistan, in das Reza 2001 als von der CIA ausgebildeter US-amerikanischer Sicherheitsspezialist zurückkehrt?
Ich wollte eine Verbindung schaffen zwischen der Entwicklung in den Achtzigerjahren und der Welt des „Kriegs gegen den Terror“. Zwanzig Jahre später ist Afghanistan ein anderes Land. Rezas Freund Abdullah hatte ihm vorgeschwärmt von Flüssen und Granatapfelhainen. Als Reza 2001 nach Afghanistan kommt, sieht er nichts als Geröll. Wenn man wie ich in Pakistan aufgewachsen ist, sieht man sehr deutlich, wie viel von dem islamistischen Terror und dem Krieg dagegen bereits früher angelegt wurde. Das alles hat ja nicht erst mit 9/11 angefangen. Aber ursprünglich hatte ich gar nicht die Absicht, den Bogen so weit zu spannen.
Wie kam es dann doch?
Als ich über Nagasaki las und über die Ausländer, die, als der Krieg begann, die Stadt verließen, außer einigen Deutschen, die aber, nachdem Deutschland kapituliert hatte, von Freunden zu Feinden geworden waren, lag es wohl an der historischen Situation, in der wir gerade lebten, dass ich an New York denken musste. Um 2001 herum war ich viel unterwegs zwischen England, Pakistan und den USA. In New York bin ich viel Taxi gefahren, und sehr viele Taxifahrer sind Pakistaner. Wenn sie merkten, dass ich aus Pakistan bin, begannen sie Urdu mit mir zu sprechen. Viele dieser Gespräche handelten davon, dass sie Angst hatten, aufgrund des Patriot Act Schwierigkeiten zu bekommen, vielleicht sogar verhaftet zu werden. Und dass sie überlegten, ob sie nicht das Land verlassen sollten. Und da ich gerade über Konrad in Nagasaki schrieb, dachte ich, auf irgendeine Art gibt es hier eine Verbindung zu diesen Taxifahrern.
Wie viel von Ihrer Zeit verbringen Sie heute noch in Pakistan?
Bis vor zwei Jahren habe ich noch halb in Karatschi gelebt. Seit 2007 lebe ich ganz in London. Ich liebe diese Stadt! Ich verbringe jetzt nur noch einen Monat pro Jahr in Karatschi, aber das kann sich in ein paar Jahren wieder ändern. Zu der Zeit, als 9/11 passierte und danach, führte ich eine Dreiweltenexistenz zwischen England, USA und Pakistan und fühlte mich überall zu Hause. Ich merkte schon, dass das gegenseitige Misstrauen in allen Ländern größer wurde. In Pakistan konnte man viel Negatives über die USA hören, in England viel Negatives über Pakistan. Aber ich persönlich habe mich immer in allen drei Ländern wohlgefühlt, auch wenn ich mit der jeweiligen Politik nicht einverstanden war.
Für wen schreiben Sie Ihre Romane?
Ich denke nicht, dass meine Romane die Welt verändern. Ich schreibe sie für mich selbst, aber natürlich bin ich mir auch bewusst, dass sie da draußen gelesen werden. Und wenn manchmal Leute zu mir kommen und sagen, Ihr Buch hat meine Ansichten über dies und jenes geändert, dann freut mich das sehr. Werden Sie in Pakistan als Schriftstellerin anders wahrgenommen als im Westen?
In Pakistan bin ich das local girl. Und es ist dort leider so, dass wir englischsprachigen Autoren vor allem als Aushängeschild für den Westen betrachtet werden. Niemand von uns mag das, und ich sage immer: Nein, ich schreibe doch genauso für euch. Warum ist es euch denn nur so wichtig, was man im Westen von meinem Buch denkt?
Sind Ihre Romane ins Urdu übersetzt worden?
Nein. Mein Romane sind in zwanzig Sprachen übersetzt, aber Urdu ist nicht darunter. Ich glaube, keiner der englischsprachigen pakistanischen Autoren ist bisher auf Urdu erschienen. Im Januar, als ich in Pakistan war, um meinen Roman vorzustellen – dort ist er zuerst herausgekommen –, habe ich in jedem Interview gesagt, bitte, ihr Urdu-Übersetzer dort draußen, ich möchte es so gern übersetzen lassen! Aber: nichts.
Was denken Sie über das heutige Pakistan? Die dortige Entwicklung wirkt von Europa aus recht besorgniserregend.
Ach wissen Sie, in Pakistan sind wir daran gewöhnt, über unsere Regierungen zu verzweifeln. Dieses Schlingern von Krise zu Krise ist dort die normale Vorwärtsbewegung. Man kann zwar schon besorgt sein über die Entwicklung, aber als ich im Februar dort war, schien alles noch viel beängstigender, weil die Taliban immer mehr an Boden gewannen und die Armee nichts tat, um sie zu stoppen. Und das in Pakistan, wo die Militärs doch gewohnt sind, alles zu machen! Zu regieren, Unternehmen zu führen. Warum konnten sie nicht die eine Sache erledigen, für die sie eigentlich da sind? Es war eine Riesenerleichterung, als sie dann endlich einschritten. Das heißt nicht, dass die Bedrohung durch die Taliban verschwunden ist oder so bald verschwinden wird – es sind schwierige Zeiten, aber ich will optimistisch bleiben.
Pakistan ist also kein „gescheiterter Staat“, wie manche Beobachter meinen?
Darüber wurde tatsächlich viel diskutiert, als ich im Februar dort war. Aber schauen Sie: Ich war in Karatschi, ging zu Eröffnungen von Filmfestivals und Ausstellungen, habe mein Buch vorgestellt und im Fernsehen großartige Debatten über Politik erlebt. Und während man all dies sieht, ist es schwer, sich vorzustellen, dass man sich in einem gescheiterten Staat befindet. Ich leugne nicht, dass es eine Menge Probleme gibt. Aber zugleich gibt es viele Dinge, die funktionieren, wenn auch auf manchmal etwas verrückte Art. Es gibt immer noch vieles, was wir dort feiern können. Ich gebe es nicht auf.
■ Kamila Shamsie: „Verglühte Schatten“. Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer. Bloomsbury, Berlin 2009, 476 S., 22,95 Euro
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