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Zurück zu den Wurzeln

Von der Ostsee über die Spree bis an den Main: Corona brachte die Theater wieder nach draußen und Open-Air-Events sorgten für einen beschwingten Sommer. Doch altbekannte Probleme blieben. Ein Rück- und Ausblick

Das Monbijou-Theater an der Berliner Museumsinsel brachte in Rekordzeit ein Programm auf die Bühne Foto: Uwe Hauth

Von Tom Mustroph

Theater war einst ein Open-Air-Vergnügen, so lange zumindest, bis von Fürsten bestallte Akademiker das Spektakel auf den Jahrmärkten als minderes Volksvergnügen abtaten und parallel dazu der Artistik den Sprung auf den E-Kunst-Zug verweigerten.

Doch das Pendel schlägt inzwischen wieder in die andere Richtung: Der Neue Zirkus dringt ambitioniert in die Institutionen der Innenraumkunst vor. In den Nöten des Lockdowns entdeckten wiederum gelernte Drin­nen­­spie­le­r*in­nen die Reize von Freiluft-Events. Schnell aufgelegte Förderprogramme wie Neustart Kultur stellten dafür auch beträchtliche Mittel bereit. Bestätigt fühlen durften sich die, die immer schon draußen spielen. In Berlin betraf dies unter anderem das Globe Theater.

Auf der die Zuschauer umkreisenden Ringbühne – entstanden einst für das Shakespeare-Spektakel „Der Sturm“ – wurden alte Produktionen wie ebender „Sturm“ und neue Stücke wie „Maria Stuart“ und „Es lebe Europa!“ aufgeführt. Die Menschen kamen, holten sich erst ihr Getränk unter freiem Himmel, besetzten dann die pandemiekonform getrennten Stühle und kuschelten sich, wenn es kühler wurde, in Wolldecken.

Ihre Augen verfolgten die Dar­steller*innen, die auf der Außenbahn um sie herum agierten. Dann wieder konzentrierte sich die Handlung im Zentrum. Für tolle Effekte sorgte die sich über die Köpfe herabsenkende Dämmerung. Noch bis Mitte September empfängt die Open-Air-Bühne im Berliner Norden ihre Gäste, bis dann im nächsten Jahr, endlich, das hölzerne Globe Theater aus Schwäbisch Hall am neuen Standort errichtet werden soll.

Im Berliner Süden, auf dem Gelände der ehemaligen Bärenquellbrauerei in Schöneweide, verband sich während des „Summer of Performance“ das Dämmerlicht der Stadt bei den Artistik- und Performance-Projekten der Seil- und Trapezkünstlerin Jana Korb und der Vertikaltheatertruppe Grotest Maru mit dem romantisch geschundenen Ziegelgemäuer der alten Gerstensafthallen. Revier Südost heißt das Areal jetzt, und es ist zu hoffen, dass die Hallen und Flächen dazwischen auch in Zukunft künstlerisch bespielt werden können.

Auf der Ostseeinsel Usedom hingegen gibt es im mittlerweile 25. Jahr die Vineta Festspiele. Im letzten Sommer mussten sie wegen Corona ausfallen. In diesem Jahr wurden die traditionellen Schwertkämpfe und Massenszenen in Zinnowitz zur Freude von Anwohnern und Meck-Pomm-Reisenden aber wieder gezeigt.

Härter kämpfen als die schon alteingesessene Truppe der Vorpommerschen Landesbühne Anklam mussten die Piraten von Grevesmühlen, die tradi­tio­nell von der Schauspielerfamilie Semmelrogge verstärkt werden. Vor Gericht erstritten sie sich im letzten Moment das Aufführungsrecht. Streitpunkt war der Lärmpegel. Piraten-abholde Nachbarn hatten einen Eilantrag wegen Lärmbelästigung gestellt. Dann wurde gespielt, gemessen – und Bußgelder verhängt wegen überschrittener Werte und nicht rechtzeitig beendeter Premierenfeier.

Die Episode zeigt: Eine Pandemie macht nicht zwangsläufig solidarischer. Die Freude der einen wird zum Grimmauslöser der anderen. Und zu dem neuen Management von Masken, Abständen, Desinfektionsmitteln und Impfpasskontrollen gesellen sich ganz schnell die altbekannten Problemfelder. In Grevesmühlen müssen Besucher übrigens keinen negativen Test vorlegen, die namentliche Registrierung über die Luca App oder ganz altmodisch händisch reicht. Auch hier wird bis Mitte September gespielt.

Beim traditionellen Sommerwerft-Festival in Frankfurt/Main schien das delikate Verhältnis zwischen Anwohnern und Veranstaltern schon eingespielter. Als die open-air-erfahrene Truppe des Antagon Theaters vor 20 Jahren erstmals das am Ufer des Mains gelegene Gelände der früheren Weseler Werft bespielte, standen all die heutigen Wohntürme und auch der Koloss der Europäischen Zentralbank noch gar nicht. Jetzt stellt die Sommerwerft die wohl letzte große alternative Bastion im kalten Herzen der Hochfinanz dar.

Heruntergeregelte Boxen am Abend und Grabesstille zur Mittagszeit – zur Wahrung der Mittagsruhe der Nachbarn – sind Teil der Kompromissregeln. Immerhin, es funktioniert. Weiterhin langes Bestehen ist der Sommerwerft zu wünschen, denn das Programm aus Theater, Performance, Musik und Artistik fügte sich wunderbar ein ins Flanieren am Ufer und das Kon­sumieren der zahlreichen Drinks und Speisen aus aller Welt.

Eine Pandemie macht nicht zwangsläufig solidarischer

Eine ähnlich glückliche Zukunft, im Frieden mit den Einwohnern und unterstützt von der Kommune, wünscht man mitten in Berlin, auf Steinschleuderweite zum Kanzleramt, dem Monbijou-Theater. Es war das erste Open-Air-Theater im Nachwende-Berlin. Herrschaftliche Intrigen, deren Verdrehtheit denen der Königsdramen Shakespeares, die hier oft aufgeführt wurden, kaum nachstanden, führten zur zwischenzeitlichen Schließung. Aktuell wird das Gelände zwischen Park und Spree aber wieder bespielt. Eine Gruppe um den Theatersport-Initiator Johann Jakob Wurster übernahm in einem regelrechten Organisationsrausch von lediglich drei Wochen Vorbereitungszeit den Spielbetrieb und führt bis in den September hinein einige der gefeierten älteren Produktionen auf.

Wurster kennt die beiden großen Berliner Open-Air-Stätten von eigenen Auftritten. „Beim Globe Theater ist die Bühne einfach ganz toll. Beim Monbijou-Theater ist die Lage einmalig, mitten in der Stadt, am Wasser, im Park und mit der gewachsenen Gastronomie-Infrastruktur. Das muss einfach erhalten bleiben. Es war auch Beispiel für viele andere Open-Air-Locations weltweit“, meint Wurster zu taz.

Die Open-Air-Bühnen haben während der Pandemie an Gewicht gewonnen. Die alten Probleme aber bleiben: Anwohner*innen, die in die Stadt gezogen sind, um am Leben zu partizipieren, es vor dem eigenen Schlafzimmerfenster aber gerne mucksmäuschenstill hätten.

Und Amtsstuben-Bürokraten, die den Lärmschutz wie eine Monstranz vor sich hertragen, weil sich Flächen, auf denen sich alle, auch die mit wenig Geld in der Tasche, vergnügen können, nicht so viel Rendite versprechen wie die immer neuen und oft so gesichtslosen Town Houses.