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„Ich würde einen Kniefall machen“

Hamburger Schü­le­r*in­nen haben einen Podcast mit dem Zeitzeugen Claus Günther produziert, dessen Vater bei der SA war. Darin fragen die Schü­le­r*in­nen Günther nach seiner NS-Kindheit

Von Pascal Luh

Der Podcast beginnt mit einem Jingle. Dann spricht eine junge Stimme mit etwas schiefem Sound den Titel ein: „Young meets old – Zeitzeuge erzählt aus seiner NS-Kindheit“.

Die Stimme stammt von einem von 13 Schü­le­r*in­nen verschiedener Hamburger Schulen. Sie haben zusammen mit dem Zeitzeugen Claus Günther während des Homeschoolings 2020 einen Podcast produziert, der dazu beitragen soll, Erinnerungskultur an die nächste Generation weiterzugeben.

Der Zeitzeuge Claus Günther ist der Sohn eines ehemaligen Harburger SA-Mannes, der selbst als Kind die Pogrom­nächte im November 1938 in Harburg miterlebte. Günther, zu dieser Zeit erst sieben Jahre alt, sah vom Fenster aus, wie sein Vater an die­sem Abend als Fahnenträger einen Fackelzug der ­Marine-SA anführte. Es sollte sich später herausstellen, dass sie die Synagoge in Harburg absperrten, während sie ge­plündert wurde. Mit seinem Vater habe er später nie über diesen Abend sprechen können, sagt Günther in einem taz-Interview.

Claus Günther, der seit über 20 Jahre ehrenamtlich als Zeitzeuge in Hamburg aktiv ist, veröffentlichte 2016 das Buch „Heile, heile Hitler“. Darin erzählt er in autobiografischer Manier von den Erinnerungen an seine Kindheit zwischen 1931 und 1947. Zusammen mit dem von der Stadt Hamburg unterstützten Community-Sender Tide vertonte Günther dann das Buch in Gänze.

Zu Beginn jeder Podcast-Folge läuft ein Kapitel des daraus entstandenen Hörspiels. Dann rascheln Buchseiten und kurz darauf erklingt die Stimme Claus Günthers und schnackt im Hamburger Dialekt aus der Sicht seines Cameo-Doubles „Peter Littich“ über die NS-Zeit. Er berichtet von Berührungspunkten mit dem Nationalsozialismus als Sohn eines engagierten SA-Mannes, von Fragen, die sich der kleine Peter stellte und worüber er sich wunderte.

So erzählt Günther etwa, dass Peter nicht zum Haus der jüdischen Nach­ba­r*in­nen hinüber gehen durfte und sich deshalb fragte: „Na, warum denn nun das nicht?“ Durch Günthers lockere Sprache wirkt die Lesung in Verbindung mit der kindlichen Sicht Peters in einigen Momenten fast wie ein Ausschnitt aus Michel aus Lönneberga.

Doch Günther erzählt auch, wie das Erleben von Ungereimtheiten und Gewalt gegenüber jüdischen Menschen am Weltbild des Jungen kratzt und welche Spuren diese Zeit bei ihm hinterließ: „Ich habe mich jahrzehntelang geschämt, ein Deutscher zu sein“, sagte Günther später im Podcast.

Hinterlegt ist seine Erzählung mit Geräuschen: Stiefel marschieren, wenn der Vater mit der Sturmabteilung marschiert, eine Klingel läutet, wenn Peter zur HJ abgeholt wird.

Nach jeder Lesung folgt ein Gespräch: Die Schü­le­r*in­nen stellen Fragen zum vorgelesenen Kapitel. Die Unterhaltung ist wie ein Interview gestaltet, wobei jede Folge von anderen Schü­le­r*in­nen moderiert wird. Dabei fallen die Fragen ganz unterschiedlich aus. „Natürlich stellen ältere Schülerinnen und Schüler andere Fragen als jüngere“, sagt Günther.

In einer der sieben Folgen des Podcasts erzählt er davon, als Zehnjähriger einen jüdischen Mann beschimpft zu haben, weil dieser auf dem Weg nach Hause seinen „Judenstern“ mit der Aktentasche verdeckt habe. „Wie ist das für Sie, nach 80 Jahren noch darüber zu sprechen?“, wollen die Schü­le­r*in­nen daraufhin wissen: „Wie fühlt sich das an?“

„Haben Sie in der Hitlerjugend Dinge fürs Leben gelernt?“, will eine Schülerin wissen. Günther überlegt. Damals habe er gelernt, dass „kollektive Angst kollektives Schweigen erzeugt“

Günther seufzt. „Es fühlt sich immer noch so an, als wäre die Zeit damals stehen geblieben. Ich sehe den Mann noch vor mir.“ Man merkt, dass das Thema ihn, im Erzählen dieser Erinnerung eigentlich routiniert, immer noch berührt. Was er diesmal anders machen würde? Die Situation ließe sich nicht ganz übertragen, vor allem wegen des Wissens, das er jetzt habe, sagt Günther. Und dennoch: „Ich würde einen Kniefall machen und um Verzeihung bitten.“ Er habe sich schon damals so geschämt. „So lange ich lebe wird mich das nicht verlassen.“

Das Thema Scham kehrt in Günthers Erzählungen immer wieder. So berichtet er in einer anderen Folge von seiner Zeit in der Hitlerjugend, erzählt, wie ein ehemaliger HJ-Kamerad zusammengeschlagen wurde und er und seine Gruppe nur tatenlos dabeistanden.

„Haben Sie in der Hitlerjugend Dinge fürs Leben gelernt?“, will eine Schülerin wissen. Günther überlegt. Damals habe er gelernt, dass „kollektive Angst kollektives Schweigen erzeugt“. Das habe er für sich im positiven Sinne übersetzt, um heute unanfechtbare Dinge anzusprechen. Das wäre in dem Sinne eine Sache, die er in seiner Zeit bei der HJ gelernt habe.

Von Seiten der Schulen, die bei den Podcasts mitgemacht haben, bekomme er positive Rückmeldungen, sagt Günther. Die Lehrkräfte berichteten, dass sie „die Schülerschaft selten so konzentriert erleben“.

Er hofft, dass die jungen Menschen seine Erinnerungen weitertragen. Denn das ist seine Sorge: „Wer setzt die Arbeit fort, wenn wir, die Kriegsgeneration, nicht mehr am Leben sind?“

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