Akustische Awareness

Am 5. September lädt das Festival für Selbstgebaute Musik auf das Gelände am Holzmarkt ein. Auch Touren durch die Stadt wird es geben, bei denen man dem öffentlichen Raum Klänge zu entlocken lernt

Schaltkreismusik bauen Lorenz Blaumer & Claudia Raudszus Foto: Claudia Raudszus

Von Stephanie Grimm

Alles klingt! Fahrradspeichen, Schritte, Autos, die U-Bahn, raschelnde Blätter, Brückenpfeiler ebenso wie Treppengeländer. Und zudem natürlich all die Menschen und Tiere. Wo man in der Natur bisweilen die Ohren spitzen muss, um genauer hinzuhören, setzt der von der ganzen Kakofonie bisweilen überforderte Stadtmensch tendenziell auf Abschottung und steckt sich Kopfhörer in die Ohren. Oder blendet die Umgebung anderswie akustisch aus, so gut es eben geht.

Aber gerade in den letzten anderthalb Jahren hat man ja genug Zeit auf seiner eigenen, oft ruhigen Insel verbracht: eine gute Gelegenheit also, zu lauschen, was die Klangkulisse Stadt so zu bieten hat.

Unterstützung kommt dabei vom Festival für Selbstgebaute Musik, das am Sonntag, den 5. September zum siebten Mal stattfinden wird. Nach der letztjährigen Station auf dem R.A.W.-Gelände ist man diesmal auf dem Holzmarkt gelandet. Wegen der besseren Infrastruktur und nicht zuletzt auch deshalb, weil die Ver­an­stal­te­r*in­nen dort ihrem Anspruch der Barrierefreiheit besser gerecht werden können.

Seit der ersten Ausgabe des Festivals – damals noch als Moabiter Straßenfest, das sich in erster Linie an Kinder richtete – hat das Künstlerkollektiv Selbstgebaute Musik (ein Projekt der Gruppe „Kollegen 2,3“, die auch darüber hinaus an stadtpolitischen und sozialen Projekte arbeitet) seinen Fokus beträchtlich erweitert. Zwar wird auch in diesem Jahr auf dem Festival wieder im Rahmen von Workshops gebastelt, auf dass aus günstigen Alltagsgegenständen Klangvolles entsteht. Doch den Ma­che­r*in­nen geht es um deutlich mehr.

Seit 2015 ist das Festival stark gewachsen, der stadtpolitische Anspruch der Ma­che­r*in­nen in den Fokus gerückt – weswegen der eigentliche Festivaltag mit Konzerten, Vorträgen und Präsentationen in diesem Jahr eben nur ein Teil dessen ist, was auf dem Programm steht.

Im Fokus steht die Erschließung des Stadtraums und seiner Klänge. Weil dabei ja durchaus die Gefahr besteht, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht hört, gibt es drei eigens zusammengestellte Touren, die am besten mit dem Fahrrad gemacht werden, aber auch zu Fuß zu bewältigen sind. Näher beschrieben sind sie auf einer mit viel Herzblut gestalteten Karte, mit der sich die Nut­ze­r*innen nicht nur interessant klingende Hohlräume und Oberflächen erschließen können, sondern auch eigene für den Anlass geschaffene Soundinstallationen (die über das Festival hinaus in der näheren Zukunft erfahrbar sein werden).

Wer etwa hätte gedacht, dass ausgerechnet auf den Steinplatten der Fassade des Gesundbrunnen-Centers – dieses hässlichen, im Wedding gelandeten Raumschiffs – gespielt werden kann wie auf einem Xylofon? Oder dass dem „Love-Hate“-Denkmal vor der Mercedes-Benz-Arena, einem ähnlich monströsen Fremdkörper, tatsächlich schöne Töne zu entlocken sind.

Um diesen Stadtplan beziehungsweise Klangatlas für Berlin zu bekommen, muss man übrigens nicht zwingend aufs Festival. Er liegt an verschiedenen Locations aus (auf der Webseite erfährt man, wo), man kann ihn sich aber auch ganz bequem zuschicken lassen.

Man habe sich bewusst dagegen entschieden, eine App zu programmieren, erklärt Hajo Toppius, einer der Mit­in­itia­to­r*in­nen im Gespräch über Zoom. „Ich finde die Vorstellung gut, dass man mit Freun­d*in­nen diese Touren macht und etwas Analoges in der Hand hat, über das sich alle beugen können.“

Seine Kollegin Lea Grönholdt betont, dass die so hoffentlich entstehende „acoustic awareness an den Selbstermächtigungsgedanken anknüpft: Dinge zu erforschen, zu erfahren“. Toppius ergänzt: „Es geht nicht zuletzt um das Erobern von Räumen durch Musik.“ Oder eben auch darum, was die Stadt jenseits von Musik klanglich zu bieten hat.

Zwischen all den Vorträgen, Präsentationen und Konzerten – wie etwa jenes des klangsurrealistischen Kollektivs Atonor, das 2002 von dem Klangkünstler, Komponisten und Objektebauer Erwin Stache gegründet wurde – wird auch am Festivaltag selbst der Stadt ein paar Minuten lang die große Bühne überlassen.

Um den Fokus kurzweilig weg von der Musik hin zu den Geräuschen der Umgebung zu lenken, wird es eine Performance von John Cages komplett stillem Stück „4.33“ geben. Was man dann zu hören bekommt? Vielleicht die direkt angrenzende Stadtbahn, die stetig vorbeiziehende Spree oder Tou­ris­t*in­nen auf dem Weg zur East Side Gallery?!

Darüber hinaus werden sich vier Schlag­zeu­ge­r:in­nen die Klangeffekte zunutze machen, die auf beiden Seiten des Flussufers entstehen.

Ein besonderes Highlight dürfte auch der abendliche Auftritt des identitätsdiversen und auch sonst charmant eigenwilligen Songwriters und Performancekünstlers Hans Unstern sein, hinter dem sich eine „Mulitude von Personen“ verbirgt. Unter anderem mit selbst gebauten Harfen, die teils auf der Spree platziert sind, wird der Songwriter das letztjährige Album, „Diven“, erstmals live vor einem anwesenden Publikum vorstellen.

Festival für Selbstgebaute Musik: 5. September, ab 13 Uhr, am Holzmarkt

Mehr Informationen unter www.selbstgebautemusik.de