Gewalttaten nach Zurückweisung: Vom Penisbild zum Mordversuch
Annäherungsversuche abzulehnen, kann für Frauen fatale Folgen haben – das zeigt ein Prozess, der am Dienstag im Hamburger Landgericht startete.
So beschreibt es Staatsanwältin Ehmcke am Dienstag zum Prozessauftakt. Mustafa D. wird wegen versuchten Mordes, Bedrohung, Beleidigung, Missbrauch des Waffengesetzes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Als die Fotografen hereinkommen, verrät nur das Zittern des Papiers, mit dem er sein Gesicht verdeckt, seine Nervosität.
Motiv der Tat soll laut Anklage seine Verärgerung über die 17-jährige Tochter gewesen sein. Sie habe seine Annäherungsversuche zurückgewiesen. Ob und inwiefern der Täter mit der Tochter Kontakt hatte, ist bisher unklar. Der Angeklagte habe sie über mehrere Instagram-Profile beleidigt und bedroht, sagt Staatsanwältin Ehmcke.
Er habe pornografische Bilder verschickt und Drohungen gegen sie, den kleinen Bruder und die Mutter ausgesprochen. Als „Kopftuchschlampe“ und „Nuttenkind“ habe er die Adressatin beleidigt. Doch er soll die Bilder und Nachrichten an den falschen Instagram-Account geschickt haben. Tochter S. habe nicht reagiert. Daraufhin habe er das Zuhause der Familie aufgesucht und auf die Mutter, B., geschossen. Die Staatsanwaltschaft geht derzeit davon aus, dass der Angeklagte schuldfähig ist.
Franziska Albers, Frauenberatung AWO
„Zurückweisungen werden von einigen Männern als Verletzung des Stolzes wahrgenommen“, sagt Franziska Albers von der Frauenberatung der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Dass Ablehnung gewalttätiges Verhalten auslöst, sei nicht ungewöhnlich und komme häufig auch in Partnerschaften vor. Der Mann versuche durch Gewaltanwendung die Macht zurückzugewinnen, die er durch die Verletzung seines Stolzes verloren glaube.
Um solche Gewalt anzuwenden, würden immer häufiger soziale Medien genutzt. Dabei gehe „digitale Gewalt oft Hand in Hand mit analoger Gewalt“, sagt Diana Jäger, ebenfalls von der AWO. Weil die Täter Fake-Profile anlegen können, senke das die Hemmschwelle und die Fälle werden meist nicht aufgeklärt.
Gerade in Zeiten von Corona wachse das Problem. Frauen erlebten dann Beschimpfungen, Demütigungen, würden fortwährend kontaktiert und bedrängt. Das sei genau so schlimm wie analoge Gewalt, sagt Albers. „Das Problem bei digitaler Gewalt ist, dass sie überall und jederzeit angewandt werden kann.“ Pornografische Inhalte, die übers Netz verschickt werden, treffen Opfer häufig unerwartet. „Das ist ganz klare Grenzüberschreitung. Frauen werden dadurch in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt.“
Zahlen zu Gewalt gegen Frauen gibt es wenige. So erfasst das BKA nur Daten darüber, wie viele der Straftaten innerhalb einer Partnerschaft stattfinden. Demnach waren 2019 bei vollendeten und versuchten Delikten der Partnerschaftsgewalt 81 Prozent der Opfer weiblich. Wie viele Gewalttaten es außerhalb von Partnerschaften gibt, die aus pauschalem Hass gegen Frauen resultieren, wird nicht erfasst.
Beratungsbedarf hat zugenommen
Der Bedarf nach Beratung für Frauen hat während der Coronapandemie jedenfalls zugenommen, legen Statistiken des Hilfetelefons nahe. 2020 lag die Anzahl der Beratungen ab April konstant höher als 2019. Durch den Lockdown steige das Risiko für Frauen, dass häusliche Gewaltsituationen sich zuspitzen und eskalieren, heißt es im Bericht, der im Mai veröffentlicht wurde.
Zum Prozessbeginn von Mustafa D. wurde bisher nur die Anklageschrift verlesen. Der Verteidiger des Angeklagten kündigte an, der Beschuldigte werde die objektiven Tatumstände gestehen. Er habe die Frau und den Jungen nicht töten wollen.
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