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: Erst Pride, dann Prügel in der ukrainischen Hafenstadt Odessa

Zweihundert vorwiegend junge Menschen sind am Samstagnachmittag mit Regenbogenfahnen und Plakaten wie „Leben in Freiheit und ohne Angst“, „Sicherheit ist kein Privileg“, „Homophobie ist ansteckend“, „Keine Grenzen für die Liebe“ durch die Innenstadt der ukrainischen Hafenstadt Odessa gezogen, um für Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten und ein gesetzliches Verbot von Diskriminierung zu demonstrieren. Geschützt wurde die Veranstaltung von 1.100 Polizisten und Nationalgardisten.

Dass dies notwendig war, wurde kurz nach Ende der Veranstaltung deutlich. Nachdem mehrere Dutzend Angehörige der rechtsradikalen Gruppe „Tradition und Ordnung“ versucht hatten, die Polizeisperren zu durchbrechen, um zu den LGBTQ-Demonstrant*innen vorzudringen, diese mit Tränengas besprüht und in Sprechchören ihren Tod gefordert hatten, ging die Polizei gegen die Gegendemonstranten vor. In dem Gerangel kam es auch zu Gewalt. Dabei wurden 29 Polizisten und Nationalgardisten verletzt. In der Folge wurden 51 Rechtsradikale vorübergehend festgenommen. Gegen sie wurden Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Massenunruhen und Rowdytum eingeleitet. Dies berichtet das Portal odessa.web2ua.com.

Der diesjährige Odessa Pride 2021 hatte schon im Vorfeld für Diskussionen, Unmut, Zustimmung und Gegenaktionen gesorgt. Am Freitag hatten zwei Dutzend orthodoxe Christen im zentralen Stadtgarten zum „Gebet für die Befreiung der LGBTQ-Menschen von ihrem sündhaften Handeln“ aufgerufen.

Am Samstagvormittag demonstrierten über 500 Christen in einem unter anderen von der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats organisierten Marsch für traditionelle Werte. Transparente wie „die traditionelle Familie ist von Gott gewollt“ gaben die Richtung vor. „Wir sehen, was in Europa passiert. Dort ist die moralische Kultur völlig am Boden“, erklärte Andrei Paltschuk, Erzdiakon der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und Organisator des Marsches im „Fernsehkanal 5“. Dort bedauerte der Teilnehmer Olexander Slotow, dass man Homosexualität nicht mehr als Krankheit bezeichnen dürfe. „Wenn ich sage, ich bin Napoleon, gelte ich als psychisch krank. Wenn ich aber sagen würde, ich hätte diese Manie, dann wäre das normal“, empört er sich.

Trotz des Gewaltausbruchs ist man in der LGBTQ-Community in Odessa zufrieden. Die Stimmung gegen Prides sei immer feindseliger als in Kiew gewesen. Noch nie sei es gelungen, einen so langen Marsch zu organisieren wie in diesem Jahr, so die Facebook-Seite von Odessa Pride 2021. Bernhard Clasen, Kiew