Nachruf auf Klavier-Helmut: Kein Chopin mehr in Kreuzberg
Er war Klavierbauer und Straßenkünstler. Jetzt hat Kreuzberg eine schrullig-liebevolle Kiezgröße weniger: Klavier-Helmut ist gestorben.
Ob er davon leben konnte, weiß niemand so recht, aber wohl, dass es ihm egal war, ob er Geld dafür bekam. „Ich spiele grundsätzlich nicht, wenn das Geld knapp ist oder ich Fleisch kaufen will. Dann kriege ich nichts“, sagte er der taz 2014. Und dass er sich eine neue Kauleiste wünsche. Aber auch damit hätte er sich arrangiert, er brauche ja nicht viel.
Nein, für das bisschen Geld hätte wohl kaum jemand ein wuchtiges Klavier auf einem Rollwagen durch die Straßen transportiert. Denn Klavier-Helmut, so wurde er in Kreuzberg bekannt, war einfach da um des Spielens willen.
Fast 80 Jahre alt
Fast 80 Jahre alt wurde der Kreuzberger, der zeitweise als Klavierbauer eine gutgehende Werkstatt über der legendären Kneipe Leierkasten in der Zossener Straße hatte und aufstrebenden Jungpianisten schon mal einen Steinway als Leihgabe vorbeibrachte, wenn er merkte, dass da Talent vor ihm saß.
Dass es ihm wirklich nie ums Geld ging, erzählt auch die Anekdote, die der international bekannte Pianist Vladimir Stoupel preisgibt. Als dieser, als junger Student und aus Paris kommend, einen günstigen Klavierstimmer sucht, findet er in den Gelben Seiten eine winzige Anzeige von Klavier-Helmut. Helmut kommt und stimmt das Klavier, will als Lohn entweder 50 Mark oder aber der Jungpianist könne ihm was vorspielen. Das tut Stoupel dann und Klavier-Helmut ist so angetan, dass er ihm den Steinway gleich am nächsten Tag zwei Stockwerke in die Wohnung hochhievt, ohne es mit ihm abzusprechen.
Nachdem Helmut kurz vor dem Mauerfall mit seiner Werkstatt Konkurs geht, verdient er sich fortan als Klavierstimmer seine Brötchen. Als das nicht mehr reicht, zieht er mit seiner Frau Tuula nach Finnland und lebt dort als Selbstversorger in einem Haus im Wald. Freunde von ihm erzählen, dass er sich anfangs bemüht habe, die Sprache seiner Frau zu lernen. Es sei aber den wortkargen Finnen zu verdanken, dass er es nach zwei Jahren vergeblicher Mühe einfach aufgegeben habe. Vielleicht deswegen; vielleicht auch, weil er Kreuzberg vermisst, oder vielleicht auch, weil er wieder Geld verdienen muss, zieht Klavier-Helmut erneut nach Berlin und stimmt und transportiert wieder Klaviere.
Dann der Beckenbruch
Nach einem Beckenbruch, den er sich bei einem Klaviertransport zugezogen hat, spielt er vor U-Bahn-Eingängen das Bandoneon, die handlichere Form einer Ziehharmonika. „Ich schämte mich, besonders wenn Leute vorbeikamen, die mich als Klavierstimmer kannten“, erzählt er der taz damals.
Wer seine Liebe zum Klavierspielen teilte, bekam seine volle Aufmerksamkeit, auch später noch. So erzählt ein langjähriger Freund, der nicht namentlich genannt werden will, dass er ihm vor 15 Jahren ein Klavier versprach, und auch, dass er es ihm vorbeibrigen wolle. Vorbeibringen, in den vierten Stock?, frotzelte der Freund noch, bis er merkte, dass es Klavier-Helmut sehr ernst meinte. Und wirklich: Da stand er zwei Tage später und wuchtete das 200-Kilo-Ding die vier Treppen hoch, blaffte noch Nachbarn an, die zur Hilfe eilten, weil sie seiner Auffassung nach nicht hätten wissen können, wie man solch ein Klavier ordnungsgemäß transportiert. Am Ende stand das Klavier oben.
Am Ende, so erzählt es einer seiner engsten Freunde, ist er still und leise verstorben. Klavier-Helmut, mit bürgerlichem Namen Helmut Schneider, wurde am Donnerstag vor zehn Tagen auf dem Friedhof am Halleschen Tor in Kreuzberg beigesetzt. Es soll viel Rotwein geflossen sein, und Vladimir Stoupel spielte ein letztes Mal auf dem Rollklavier.
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