Höchstleistung im Behördenmodus

Kunst machen unter den erschwerten Bedingungen einer Pandemie und deren Bekämpfung: Arbeiten der 18 Meis­ter­schü­le­r:­­in­nen der Kunsthochschule Braunschweig stellt jetzt der dortige Kunstverein aus

Verbindende Blicke: Mit all den Spitzen und Kanten spiegelt Katharina Juliane Kühnes „Vulcano Shell“ das Naturempfinden der Künstlerin wider und kontrastiert menschengemachte Ornamente und strenge Symmetrie des umgebenden Raums Foto: Foto Stefan Stark/Kunstverein Braunschweig

Von Bettina Maria Brosowsky

Geschlossene Schulen, Universitäten und Akademien, Unterricht zuhause, Vorlesungen oder Seminare per Videokonferenz: Das alles mag funktionieren – in Ausnahmesituationen und für manches Schulfach oder bestimmte Studiengänge. Für Studierende der Kunst oder auch der Architektur, die ihre rund um die Uhr geöffneten, gemeinschaftlichen Ateliers und Zeichensäle brauchen – als den eigentlichen Ort für selbstinitiiertes Arbeiten, gegenseitiges Kritisieren und voneinander Lernen –, waren die pandemiegeprägten vergangenen Monate eine besondere Durststrecke. So können etwa an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, die durchaus gut mit Ateliers ausgestattet ist, die Studierenden ihre Arbeitsräume derzeit nur wochentags und von 9 bis 19 Uhr nutzen.

Angesichts dieses verordneten Behördenmodus ist umso erstaunlicher, was die 18 Meis­ter­schü­le­r:in­nen des diesjährigen Abschlussjahrgangs zustande gebracht haben – und nun in professioneller Manier im örtlichen Kunstverein ausstellen. Sichtlich angetan ist davon auch Thomas Rentmeister, seit 2009 Professor für Skulptur am Institut Freie Kunst und zudem Vizepräsident für internationale und regionale Vernetzung: Während eines Rundgangs gab er die nötigen Hintergrundinformationen, etwa zum Modell Meisterschüler und seinem etwas akademisch antiquierten Status im Bereich des universitären Kunststudiums. Denn diese Struktur perpetuiert ein altes Ausbildungsideal: dass nämlich ein Studierender – und der war lange ausschließlich männlich – bei einem einzigen Lehrmeister lernt.

Heute können Studierende jeden Geschlechts zwischen unterschiedlichen Disziplinen, Angeboten und Lehrenden wechseln, schließen das Studium mit einem Diplom ab. In Braunschweig tun das jährlich um die 40 Menschen, von denen dann etwa die Hälfte noch ein postgraduales Studium anhängt. Diese Meis­ter­schü­le­r:in­nen – oder Meister:innenschüler:innen? – verpflichten sich während der „Realisation ihres künstlerischen Entwicklungsvorhabens“ – so das offizielle Ziel –, verschiedene Zwischentermine bei der betreuenden Lehrperson wahrzunehmen, die über die Aufnahme der Be­wer­be­r:in­nen (mit-) entscheidet. Neben In­ter­es­sen­t:in­nen von der Hochschule selbst wechseln aber auch Studierende von außerhalb zu bestimmten Braunschweiger Professor:innen.

Internationales Renommee

So wie die Filmerin Josephin Hanke, die von der Kunsthochschule Berlin-Weißensee zur Biennale-erprobten Foto- und Videokünstlerin Candice Breitz und Vertretungsprofessorin Eli Cortiñas kam. In Hankes dystopischem Meisterschul-Video „Leaders*“ erleben nun zwei Avatare in allerlei feuchter Umgebung etwa den erotischen Chip-Austausch, kämpfen sich durch eine hetero-patriarchale Welt sowie Zeit, die es zu überwinden gilt. Diese durchaus beklemmende Arbeit ist vielleicht einer der visuellen Eye Catcher in einem künstlerisch und medial breiten Querschnitt durch alle Bereiche dieser einzigen niedersächsischen Kunsthochschule: Er reicht von raumbezogenen Projekten – etwa der in leeren Stahlgestellen repräsentierten Freiraummöblierung einer experimentellen Nachkriegsarchitektur Kaliforniens durch die Französin Laura Dechenaud –, bis zu geplotteten, flüchtigen Wassertropfen; Ergebnis alternativer Wissensproduktion, die Martin Lucas Schulze nun in einer selbst gebauten Apparatur vorführt.

Die in Braunschweig gelehrten Kunstdisziplinen weisen einen respektablen Anteil internationaler, vor allem asiatischer Studierender auf. Gerade sie scheinen biografische Aspekte zu bewegen, etwa Jung Min Lee: Die 1993 im südkoreanischen Seoul Geborene zeigt in ihrer feinen, konzeptuell minimalistischen Arbeit „Soft Capsules“ auf einer Wandinstallation kleine, runde Dosen aus Kupferblech. Sie greift damit eine Arbeit ihrer eigenen Mutter auf, aus deren Kunststudium in den 1980er-Jahren. In 18 Repliken widmet Lee nun ihren 17 Ausstellung-Mit­strei­te­r:in­nen und sich selbst je eines dieser durchnummerierten Gefäße. Sie sind mysteriöses Vermächtnis, dessen Ursprungsidee sich nicht mehr rekonstruieren lässt; das Material, aus dem sie bestehen, wird im späteren Gebrauch durch die Kol­le­g:in­nen dann jeweils eine ganz individuelle Patina annehmen.

Dass der Titel von Jung Min Lees Arbeit nun der ganzen Ausstellung ihren Namen gab, hängt auch zusammen mit der „zellulären Raumabfolge“, so die schöne Prosa von Gastkurator Sebastian Schneider: Wie durchlässige Zellen ermöglichen demnach die aneinander gereihten größeren Säle und kleinen Kabinette in der klassizistischen Kunstvereinsvilla sowohl die in sich geschlossene Einzelpräsentation als auch verbindende Blicke durch die Zimmerfluchten. So bildet etwa das vier Meter breite Gemälde von Stella Oh – die unter Aufbringung gesamtkörperlicher Energie Naturerfahrungen wie bewegte Pflanzen und verlaufende Farben in lasierender Technik auf der Leinwand nachempfindet – nun den dramatischen Endpunkt einer Blickachse im Erdgeschoss.

Sie korrespondiert im Rückblick dann beispielsweise mit den Malereien von Jonas Nölke: Auch seine orange-rot fließenden Bildelemente legen florale oder organische Assoziationen nahe. Oder nehmen wir Lena Schmid-Tupous plastische Wesen aus farbig changierendem Glas. Die gebürtige Stuttgarterin, Jahrgang 1984, hat unter anderem in Neuseeland studiert und mit einer dortigen Glasmanufaktur auch ihre nun gezeigte Arbeit „Lumen Nr. 1–10“ realisiert. Die transparenten Körper versteht Schmid-Tupou als dreidimensionale Erforschung von eigentlich ja zweidimensionaler Malerei – und arrangiert sie folgerichtig auf dem übergroßen weißen Tisch einer „liegenden Leinwand“.

Plastische Wesen aus farbigem Glas, präsentiert auf einer „liegenden Leinwand“: Detailansicht von Lena Schmid-Tupous „Lumen Nr. 1–10“Kunstverein Braunschweig Foto: Stefan Stark/

Spezialität Klangkunst

Eine Spezialdisziplin der Braunschweiger Hochschule ist die Klangkunst. Sonja Doberauer, 1980 in Hannover geboren, hat sich nach internationalen Studien „monumentaler Kunst“ in Braunschweig mit filmischen, aber eben auch akustischen Ausdrucksmitteln beschäftigt. Ihre Sound- und Videocollage „Ellipse“ geht Temperaturen und Aggregatzuständen des Wassers nach, die Re­zi­pi­en­t:in­nen sollen in eine „Reverie“ fallen, so der Begleittext unter Hinweis auch auf den russischen Komponisten Alexander Skrjabin und seine synästhetischen Kunst-Ideen.

Noch mehr Wasser: Eine sommerlich gestimmte Arbeit steuert Boris von Hopffgarten bei, der sein Meisterschuljahr bei der frisch berufenen Fotografin Natalie Czech absolvierte. Der gebürtige Hamburger, Jahrgang 1971, lebt mit seiner Familie in Hannover und interessiert sich, künstlerisch forschend, für die Skurrilitäten des Alltags. Er zerlegte nun digital eine Postkarte aus einem Kurbad in vergrößerte, polygonal zugeschnittene Teilbereiche: Verpixelte Badende zeigen die, blaue Wasserbecken und ganz viel 1970er-Zeitkolorit.

Soft Capsules. Meis­ter­schü­le­r:in­nen der HbK Braunschweig: bis 29. 8., Kunstverein Braunschweig