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Grüne streiten sich um Posten und Politik

Bei den Grünen verschärft sich der Streit um die künftige politische Ausrichtung. Kritiker werfen der Führungsspitze vor, die Abgeordneten „auf Linie zu trimmen“. Höhn weist Vorwürfe zurück: „Wir sind programmatisch nach links gerückt“

DÜSSELDORF taz ■ Wenige Wochen vor der möglichen Bundestagswahl ist es bei den nordrhein-westfälischen Grünen vorbei mit dem Parteifrieden. Christa Nickels, langjähriges Parteimitglied, wirft den grünen Führungsspitzen eine „schamlose“ Machtpolitik vor. „In den führenden Zirkeln der Partei wünscht man sich offenbar vor allem Leute, die nicht widersprechen, sondern immer die Ansagen von oben abnicken“, so Nickels.

Dabei schien die grüne Welt vor einer Woche noch in Ordnung. Auf dem Landesparteitag hatten die Delegierten Ex-Umweltministerin Bärbel Höhn zur NRW-Spitzenkandidatin gekürt, die die Grünen in den wahrscheinlichen Bundestagswahlkampf im September führen soll. Auch die weiteren Listenplätze wurden – politisch korrekt – geschlechtergerecht verteilt.

Doch die gute Stimmung scheint dahin. Hintergrund ist die Verteilung der sicheren vorderen Listenplätze. Die Wahl hat tiefe Gräben innerhalb des Landesverbands zu Tage gefördert: nicht nur über Personen, sondern auch über die zukünftige grüne Politik.

Unterstützung erhält Nickels mit ihrer Kritik vom Unnaer Bundestagsabgeordneten und Bio-Bauern Friedrich Ostendorff: „Ich bin stinksauer, wie manche in der Partei mit ihren eigenen Leuten umgehen“, so Ostendorff zur taz. Er beklagt, dass „Ur-Grüne“ wie Nickels, die seit 1983 für die Partei im Bundestag sitzt, unter fadenscheinigen Vorwänden auf hintere Listenplätze verbannt worden seien. Bei der Listenwahl landete Nickels abgeschlagen auf einem der hintersten Plätze. Auch Ostendorff selbst dürfte es schwer haben, wieder in den Bundestag einzuziehen. Er erreichte nur Platz zwölf der Landesliste und muss um sein Mandat bangen.

Auf dem Parteitag war argumentiert worden, dass der Landwirt im Bundestag nicht mehr gebraucht werde, weil es bereits genügend Agrarexperten gebe. Unklar ist jedoch, wer die grünen „Kompetenzthemen“ wie die Landwirtschaftspolitik und den Verbraucherschutz glaubwürdig vertreten könnte: Sowohl über Bärbel Höhn als auch über Bundesumweltministerin Renate Künast heißt es, dass sie sich auf anderen Gebieten profilieren werden. „Auf der Grünen Landesliste kommt der ländliche Raum erst ganz hinten vor. Ich frage mich, wie die Partei in Zukunft authentisch außerhalb der Städte vertreten sein will“, so der Bio-Landwirt Ostendorff.

In der Tat sind die ersten zehn Plätze der Landesliste nur mit Abgeordneten aus den nordrhein-westfälischen Metropolen belegt. Vier Kandidaten stammen aus dem Ruhrgebiet, drei aus Köln, zwei aus Bielefeld und einer aus Münster. Ein katastrophaler strategischer Fehler sei das, erklärt Ostendorff. Man dürfe den ländlichen Raum nicht den „Schwarzen“ überlassen. „Wahlen werden auf dem Land gewonnen oder verloren. Das scheint die Landespartei vergessen zu haben.“

Spitzenkandidatin Höhn versucht hingegen, die Gemüter zu beruhigen. Dass auf dem Parteitag kritische, streitbare Kandidaten ausgeschaltet worden seien, bestreitet sie. „Den Delegierten war es einfach wichtig, einen klaren Schwerpunkt auf die Arbeits- und Sozialpolitik zu legen“, so Höhn. Die Listenaufstellung spiegele wider, dass die Partei „programmatisch ein Stück nach links“ gerückt sei.

Die Heinsbergerin Nickels, Grüne der ersten Generation und Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken, vermutet hinter der Listenwahl jedoch parteiinterne Machtspiele. Nickels: „Die Realos hatten wohl noch eine Rechnung mit mir offen.“ Sie glaubt, dass die neue Liste auch für einen neuen Politikstil der grünen Partei stehen werde. „Die Parteispitze biegt sich ihre Leute zurecht und trimmt sie so auf Linie.“ ULLA JASPER

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