: An die Kunst glauben, am Surplus scheitern
Durchdeklinierte Themen: Tanz im August präsentierte „Stages of Crisis“ von Constanza Macras open air in den „Gärten der Welt“
Von Katrin Bettina Müller
Es war ein Abend der Erinnerung. Und das war teilweise Absicht in Constanza Macras' Stück „Stages of crisis“, das sie mit ihrer Comany Dorky Park auf dem Festival Tanz im August in Marzahn vorstellte, in der Arena der „Gärten der Welt“. Das Bühnenbild, eine kleine Wartehalle mit leeren Kühlvitrinen und dem Schild „Supermarkt Hongkong“, war ausgewiesenermaßen ein recyceltes Bühnenbild. Denn erstens ist man als Tanzcompany generell arm, und zweitens schont das Ressourcen.
Was die materielle Knappheit von Tanzkünstlern angeht, treibt Macras in diesem Stück Ursachenforschung: Wer auf dem Theatermarkt ganz oben ankommen will, muss zum Theatermeeting eingeladen werden. Das ist der Eintritt in die Welt des Prestiges. Doch der Tanz gelange da, so erklärten sich das die Tänzer:innen gegenseitig, während sie auf der Suche nach dem Theatermeeting nervös auf der Bühne herumwuselten, sehr selten hin; eigentlich nur, wenn er als das irgendwie „andere“ gelesen werden könne. Zudem blieb ihnen unklar, ob es den Theatermarkt überhaupt noch gibt. Hat er sich nicht im Zoom aufgelöst? Sind nicht die Theater gerade leer? Existiert das Theater nur noch in einer Art Arche Noah? Noch mehr Gründe für die Fahrigkeit ihrer Bewegungen.
„Stages of Crisis“ war aber auch ein Abend der Erinnerungen an frühere und bessere Stücke von Constanza Macras. Nicht nur, weil sie noch einmal einige der kapitalimuskritischen und ziemlich lustigen Märchen erzählen lässt, zu denen sie 2013 ihre Company und das Publikum in den Müggelwald getrieben hatte, ein vierstündiger Parcours zu Waldhütten und Lichtungen. Auch diesmal gehört die Erzählung von Schneewitchen, einer koksenden Studentin, die mit Krediten für einen Wohnungskauf in die Schuldenfalle gelockt wird, zu den Höhepunkten. Auch deshalb, weil eine Tänzerin sie herausbrüllt mit einer Stimme am Rand der Kraft, während sie mit ihrem Tanzpartner ein raues, zehrendes, gefährliches Duett hinlegt.
Doch dieses entscheidende Element, das eine Spannung zwischen der sprachlichen und der körperlichen Ebene aufbaut, fehlte dem knapp zweistündigen Abend zu oft. Zu Macras' Ästhetik gehört es schon lange, die Performenden nicht mit einer Bewegungssprache zusammenzukitten, sondern jeden in seinem Idiom zum Höhepunkt kommen zu lassen. Auf der großen Open-Air-Bühne entstand so aber keine Konzentration. Das Flattern von grünen, gelben, roten und orangenen Gewändern blieb ein hübsch buntes Durcheinander. Auf die Weite der Zuschauerränge, die Distanz zur Bühne, hatte das Stück keine Antwort. Und ließ auch Marzahn vor der Tür unberührt.
Das Leben in der Imitation, in der die Karaokebar den Höhepunkt der sozialen Kommunikation bildet, auch dies ist ein von Macras oft durchdekliniertes Thema. In der leeren Kühlvitrine wurde dann doch noch eine CD gefunden, mit Supermarkt-Hits. In pailettenbesetzten Glitzerkleidern tanzen sie die mal eben durch.
Das Motiv des Waldes hingegen, der in den Erzählungen oft als Rückzugsort der Outcasts angesprochen wird, hätte mehr Ausführung verdient. Einmal sieht man die Tanzenden in langen Gewändern wie Priesterinnen der Antike zusammenkommen, die letzte Gemeinschaft derer, die an die Kunst glauben. Daraus hätte etwas werden können, aber dann ist diese Skizze nur ein Pünktchen im vorüberrauschenden Geschehen.
Die Enttäuschung war allerdings auch etwas selbst gemacht von Seiten der Kritikerin. Eben auf die Künstlerin zu setzen, die man schon lange kennt und von der man viele unterhaltsame und kluge Shows gesehen hat. Und sich von der Arena in der „Gärten der Welt“ ein Surplus zu versprechen. Stattdessen gab es nur more of the same.
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