heute in hamburg
: „Es war ein sehr brutales Regime“

Stadtrundgang „Spuren des Kolonialismus in Hamburg“ mit Martin Reiter: 18 Uhr, 5€, Anmeldung unter https://t1p.de/txh3

Interview Finn Walter

taz: Herr Reiter, beruht Hamburgs Reichtum auf dem Kolonialismus?

Martin Reiter: Ja, Teile von Hamburgs Reichtum beruhen sicherlich auf dem Kolonialismus. Hamburg ist eine Stadt, die über Jahrhunderte hinweg vom Handel mit kolonisierten Ländern profitiert hat.

Welche Spuren deuten noch darauf hin?

In Hamburg gibt es viele Handelshäuser, die damals durch die Kolonien groß geworden sind und heute auch noch in der Innenstadt vertreten sind. Außerdem gibt es zahlreiche Straßen, die nach Profiteuren des Kolonialhandels benannt sind.

Bemüht sich die Stadt hinreichend um die Aufarbeitung ihrer Kolonialgeschichte?

Die Aufarbeitung ist gerade noch in den Kinderschuhen. Die Forschungsstelle an der Uni, die sich mit der Kolonialzeit befasst, wurde erst 2014 gegründet. In Hamburg konnte man sehr gut merken, wie die weltweiten Black-Lives-Matter-Proteste dem Thema einen enormen Schwung gegeben haben. Generell passiert aber noch nicht viel, abgesehen von der Arbeit einiger Pioniere. Es müsste noch deutlich mehr passieren.

Warum ging die Aufarbeitung erst so spät los?

Foto: Martin Reiter

Martin Reiter

42, ist Historiker und Bildungsreferent unter anderem für den DGB und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Die Kolonialzeit ist in Deutschland generell relativ weit verdrängt. In meiner Schulzeit wurde zum Beispiel noch gesagt, dass es eine relativ kurze Periode gewesen sei. Das mag im Vergleich mit anderen Kolonialmächten auch zutreffen, aber trotzdem war es ein sehr brutales Regime. Allerdings hat es schon relativ früh geendet, nämlich zum Ersten Weltkrieg. Deutschland verlor seine Kolonien und danach kam die Zeit des Nationalsozialismus. Diese Zeit aufzuarbeiten war auch schon ein sehr langer Kampf. Dadurch ist die Kolonialzeit ein bisschen in Vergessenheit geraten. Auch gibt es in Deutschland wenig Eingewanderte aus ehemaligen Kolonien, die die Auseinandersetzung hier führen könnten.

Inwieweit profitiert Hamburg heute von neokolonialen Strukturen?

Hamburg profitiert nach wie vor vom Handel und einige dieser Handelshäuser sind in der Zeit des Kolonialismus groß geworden. Auch der Hafen hat immer vom Kolonialhandel profitiert. Das sind Strukturen, die bis in die heutige Zeit hineinreichen. Man kann also sagen, dass Hamburg von einem Handel profitiert, der ohne die Zeit des Kolonialismus und die deutschen Kolonien nicht so aussehen würde, wie er heute aussieht.