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Gendern mit Beuys

Zu seinem 100. Geburtstag stellen die Staatlichen Museen zu Berlin mit der Ausstellung „Von der Sprache aus“ Joseph Beuys als Sprachkünstler vor

Joseph Beuys am Telefon, „Tages-Zeitung“, München,1980, Plakat, Offsetdruck, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek Foto: Abb.: smb

Von Brigitte Werneburg

Der Lebenslauf war zuletzt ja ein ganz heißes Thema. Aber nicht nur Po­li­ti­ke­r:in­nen, auch Künst­le­r:in­nen wissen um die kleinen Details, die der Sache den nötigen Sex-Appeal geben. Mal kurz bei einem berühmten Künstler vorbeigeschaut und schon haben in einer bestimmten Generation alle bei Joseph Beuys studiert. Der goutierte das wahrscheinlich. Nicht, weil es ihm schmeichelte, sondern weil er fand, das Genre Lebenslauf fordere es grundsätzlich heraus, die abenteuerlichsten Dinge aufzulisten. Das zeigen in aller Ironie seine biografischen Angaben im Katalog Stallausstellung (1963) oder sein zum Fluxus-Festival eingereichter Lebenslauf/Werklauf (1964).

Die Texte sind in der Ausstellung „Von der Sprache aus“ zu finden, die die Staatlichen Museen zu Berlin „Joseph Beuys zum 100. Geburtstag“ ausrichten. Nun ließe sich gegen die Beuys’sche Ironie einwenden, er habe mit seiner im Dritten Reich sozialisierten Generation, die mit 18 Jahren in den Krieg zog, allen Grund gehabt, seinen Lebenslauf zu verunklaren. Doch Beuys hat nie einen Hehl aus seiner jugendlichen Begeisterung für den Nationalsozialismus gemacht, er war kein Walter Jens oder Günter Grass, die sich auffällig spät an ihre Partei- beziehungsweise Waffen-SS-Mitgliedschaft erinnern konnten, gar nicht zu reden vom Direktor der Berliner Nationalgalerie Werner Haftmann, dessen Karriere als Partisanenjäger in Italien erst vor Kurzem publik wurde.

Das Unbehagen mit Beuys ist komplexerer Natur. „Von der Sprache aus“ will diesem Unbehagen auf die Spur kommen und gleichzeitig einem fraglos großen Künstler. Dazu macht Nina Schallenberg den Vortrag zum Ausgangspunkt ihrer Beuys-Schau, den der Künstler am 20. November 1985, rund ein halbes Jahr vor seinem Tod, in den Münchner Kammerspielen gehalten hat, im Rahmen der Veranstaltungsreihe Reden über das eigene Land: Deutschland.

Beuys erklärt dabei, dass er seinen Weg zur Kunst durch die Sprache fand, nicht durch eine sogenannte bildnerische Begabung. Und weiter spricht er von der Genialität der deutschen Sprache, die über die Gestaltung des menschlichen Bewusstseins hinaus das Potenzial besitze, gesellschaftliche Prozesse zu organisieren. In seiner Begrifflichkeit ist die deutsche Sprache soziale Plastik. Denn als raumgreifende Kraft ermächtigt sie die Sprechenden, Einfluss auf ihre soziale Umwelt zu nehmen, sie einer bewussten Veränderung und Umgestaltung zu unterziehen.

Wesentliche Impulse für ein solches Verständnis der deutschen Sprache erhält Beuys durch die Lehre Rudolf Steiners, mit der er sich seit den frühen 1950er Jahren beschäftigt. Bei Steiner finden sich denn auch Sätze wie: „… so ist die deutsche Sprache eigentlich eine plastische Sprache. Der Genius der deutschen Sprache ist eigentlich ein Bildhauer.“ Bezeichnet der Begriff des Genius eine ursprüngliche schöpferische Kraft, so schwingt doch bei Beuys’Beschwörung der Genialität des Deutschen der Verdacht mit, dass damit – in Einklang mit Steiner – Vorstellungen von Überlegenheit und Bevorzugtheit verbunden sind.

Wie eigentlich stellt sich daher in Beuys’Werk die plastische Kraft von Sprache dar? Worauf zielt der gefälschte, bei Beuys vor allem der gegen die Orthodoxie verfasste Lebenslauf ab? Diese Fragen versucht die Berliner Ausstellung zu beantworten, indem sie den verschiedenen Aspekten von Sprache, wie sie im Beuys’schen Œuvre deutlich werden, nachgeht, und zwar unter den Stichworten Schweigen, Laute, Begriffe, Schrift, Geheimnis, Legende und Sprechen.

Obwohl man sich vor allem an einen sprechenden Beuys erinnert, finden sich in seinem Werk durchaus Motive und Praktiken des Schweigens. Allein schon mit seinem Lieblingsmaterial, dem schalldämmenden Filz, kann Beuys den Raum zum Verstummen bringen. Freilich auch mit provokanten unverständlichen Aktionen, etwa der „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ vor einer ziemlich fassungslosen Zuschauerschaft, wie die Filmaufzeichnung in Berlin zeigt. Der Künstler, sein Gesicht mit Gold maskiert, hält einen toten Feldhasen im Arm, dem er deutend seine in der Galerie Schmela ausgestellten plastischen und zeichnerischen Arbeiten erklärt. Schweigen ist bei Beuys Protestform oder Ausdruck einer Erschütterung, das Ausbleiben der Worte wegen der Unmöglichkeit eines angemessenen Sprechens, es ist aber auch die Stille der geistigen Sammlung, das Überflüssig­sein von Sprache.

Schweigen ist bei Beuys Protestform oder Ausdruck einer Erschütterung, es ist aber auch die Stille der geistigen Sammlung

Freilich kann Schweigen auch Verweigerung sein, da wo es der Stellungnahme bedürfte. In diesem Sinne kritisiert Beuys 1973 Duchamps Ausstieg aus der Kunst in der „3-Tonnen-Edition (1. Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet, 2. Ohne Titel, 3. Schafskopf)“. Der komplexe Titel verweist dann schon auf den Aspekt der Begriffsprägung und -verwendung bei Beuys. Beuys ist ein Täufer, wie Tobias Vogt im Katalog sagt, er gibt seinen Arbeiten Titel, die aufgeladen und übertrieben wirken, die polarisieren sollen, die ungeheuer beziehungsreich und deswegen auch gerne unverständlich sind. Eine mehrere Räume umfassende grandiose Zusammenstellung mit Papierarbeiten firmiert etwa unter „The secret block for a secret person in Ireland“ (1945–1976). In solcher Sprachmagie lässt sich ähnlich wie in den Klangperformances der Einfluss Rudolf Steiners in seinem Werk festmachen.

Strategien der Begriffsbildung wie etwa die Methode der Inversion entstammen der Steiner’schen Anthroposophie, und Übungen aus dem „Sprachkurs für die Teilnehmer des Dramatischen Kurses“ im Goetheanum in Dornach finden sich in der Partitur zu „Coyote III“ wie auch der legendären Performance „öö“. Diese Untiefen im Beuys’schen Werk lotet Nina Schallenberg aus, als Ursache des Unbehagens an Beuys. Ob es aber gelingt, die Ausstellungserfahrung – wie von ihr intendiert – ambivalent zu halten, darf man bezweifeln.

Die Auseinandersetzung mit dem Bild des Steiner-Adepten, in Pandemiezeiten aufgrund anthroposophischer Querdenkerei besonders verdächtig, läuft im Hamburger Bahnhof insofern ins Leere, als das Beuys’sche Œuvre gerade in seiner geballten Fülle überraschend frisch und an gegenwärtige Diskurse zu Klima und Kapitalismus noch immer anschlussfähig auftritt. Die Arbeiten sind einfach viel zu gewitzt und zu lustig, um hochmütigen Ausschluss zu praktizieren oder esoterische Antiaufklärung; gleichzeitig sind sie in Material und Form zu seltsam und letztlich zu borniert, um populistisch zu zünden. „Sonne statt ­Reagan“ steht dafür exemplarisch, Beuys’friedensbewegter Live-Auftritt als Sänger mit der Band Die Deserteure in der WDR-Comedy-Show „Bananas“. Und Genius hin, Genie her, Beuys würde dem zustimmen: Nichts ist dem Deutschen als soziale Plastik heute angemessener als die Praxis des Genderns.

Bis 19. September, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, Katalog (Hatje Cantz) 38 Euro

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