berliner szenen: Bootsfahrt wie aus dem Bilderbuch
Eine Stunde bin ich schon am Ufer des Tegeler Sees entlanggeirrt, bevor ich aufgebe: Es gibt wohl keine Brücke. Wäre eigentlich kein Ding, den ganzen Weg im Regen zurückzufahren, wenn ich von der Radtour nicht schon so groggy wäre. Es riecht nach nassen Blättern, erfrischend und schön.
Wie ich scheinen sich auch die Pflanzen über den Regen zu freuen. Wenn das, was ich auf der Karte als Brücke ausgemacht habe, aber keine Brücke ist, was ist es dann? Die Erklärung bekomme ich unmittelbar an der Anlegestelle Tegeler Ort.
Sofern ich die Wochenendfahrzeiten richtig verstehe, soll nach zehn Minuten eine Fähre kommen. Beim Warten genieße ich die Sonntagsstimmung am See unter einem Baum. Ein Mann mit dickem Schnauzbart taucht auf und wartet schweigsam mit mir. „Ach, guck mal, wer da ist“, sagt der Kapitän und umarmt ihn. Mit seiner Prinz-Heinrich-Mütze wirkt der Käpt'n wie der Held eines Kinderbuchs. Wohin geht es, fragt er, und ich sage: „Staatswinkel“, obwohl ich keine Ahnung habe, wo das ist. Ich möchte nur so lange wie möglich an Bord bleiben.
Es ist das erste Mal, dass ich mit dieser Fähre fahre. Ich möchte keinesfalls die Unterhaltung der Männer nicht verpassen. Sie unterhalten sich, als säßen sie in einer Eckkneipe. Der Mann mit dem Schnurrbart kriegt ein Bier, der Kapitän trinkt nichts. Bis Valentinswerder sind wir die einzigen Fahrgäste. Auf dem Valentinswerder-Steg spielen barfüßige Kinder und füttern Enten. Alle sagen „Hallo“, als der Kapitän das Boot festzurrt.
Eine Frau in rosa Pulli winkt dem Kapitän mit einem rosa Mundschutz in der Hand zu und steigt ein. Sie zieht die Schuhe aus und lehnt sich auf die Bank zurück. Als der Regen stärker wird, macht sie einen rosa Regenschirm auf und lädt mich ein, mich zu ihr zu setzen. Luciana Ferrando
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