meinungsstark:
Ein Weg zur Atomdrehscheibe?
„Umweltministerin auf Abschiedstour: Die Macht der Machtlosen. Svenja Schulze ist als Umweltministerin enorm erfolgreich gewesen. Doch die Hochwasserkatastrophe zeigt, wie wenig ihr Amt ausrichten kann“, taz vom 23. 7. 21
Svenja Schulze als „erfolgreichste Umweltministerin, die Deutschland je hatte“, zu bezeichnen ist mir zu viel des Ritterschlags. Wer im Dreiländereck NRW, Hessen und Niedersachsen mal eben intransparent eine gigantische Atomdrehscheibe in Würgassen auf dem Areal des alten AKW plant und sich bislang noch nicht persönlich vor Ort gezeigt und der sachlichen Kritik gestellt hat, deren Erfolge sehe ich fragwürdig und wenig bürgernah. Eine Kultur des Zuhörens sieht anders aus. Das Thema Atom ist noch nicht abgefrühstückt.
Arno Schelle, Fredelsloh
„Die Schuld meiner Mutter. Ihr Leben lang sehnte sie sich nach Pommern zurück, der Holocaust war für sie „Propaganda“: Die Mutter der TV-Journalistin Marion von Haaren wurde im Zweiten Weltkrieg vertrieben. Nun arbeitet die Tochter ihre Geschichte auf“, taz vom 24. 7. 21
Die Welt der Heimatvertriebenen
Die persönliche Geschichte von Marion von Haaren über ihre den Holocaust verleugnende Mutter war gleichermaßen interessant und bedrückend, und ich konnte ihr Unbehagen sehr nachempfinden. Trotzdem sind mir besonders zwei Formulierungen aufgefallen, die ich sehr schwierig fand, weil sie „Heimatvertriebene“ wie Frau von Haarens Mutter neben Opfer des Holocaust stellen: Zum einen: „Starrsinnig, was den Holocaust angeht“. Für mich ist das euphemistisch, warum schreibt die Autorin nicht, dass ihre Mutter den Holocaust leugnet und ignoriert? Zum Zweiten: „Auch deshalb bleibt für mich bis heute unerklärlich, warum unsere liebevolle Mutter kein Mitgefühl zeigte für die vielen anderen Opfer der Nazidiktatur.“ Diese Formulierung finde ich unerträglich. Die Opfergruppen des Holocaust als andere Opfer zu nennen, neben den „Heimatvertriebenen“, unter denen ja, wie bei den anderen Deutschen, die allermeisten die Nazidiktatur mitgetragen und mitgemacht haben, ist ein starkes Stück.
Ich war überrascht, in der taz einen so „Heimat“-nostalgischen Text zu lesen und hätte mir gewünscht, dass die Autorin die Opferhaltung ihrer Mutter stärker reflektiert. Vielleicht ist es ja auch symptomatisch für das, was Max Czollek in „Desintegriert euch“ beschreibt und kritisiert: Die dritte Generation von Deutschen versuche die Erinnerung an den Holocaust immer stärker über eine Identifikation mit den Opfern herzustellen. Ich finde das problematisch.
Antonia Flach, Jena
Die Kinder der Heimatvertriebenen
Danke für diesen sehr ehrlichen und schockierenden Bericht vom Aufwachsen in der jungen Bundesrepublik als Kind von Vertriebenen/Deutschen, die aus teilweise nachvollziehbaren Gründen emigrieren mussten. Als ich am Frühstückstisch anhub, um die für mich schockierenste Stelle laut vorzulesen, sagte mein Lebensgefährte: „Marion von Haaren kenne ich! Die ist eine sehr gute Journalistin!“ Und wir waren danach beide beeindruckt, wie sie es geschafft hat, als junge Frau, zwar mit Matura und Platz in der Journalistenschule, aber ohne Wissen über Konzentrationslager ausgestattet, in den 1970ern und 1980ern in der BRD ihr Schicksal so gut zu meistern und diesen Karriereweg zu gehen.
Es zeigt, wie wichtig einerseits Ehrlichkeit mit sich selbst ist und andererseits die Bereitschaft, einen Menschen niemals aufzugeben oder abzuschreiben, nur weil er vermeintlich „nichts“ weiß. Das gilt für Geflüchtete und es gilt für die, die davon ausgehen, beheimatet zu sein. Das Aufwachsen in einer ehemals adligen Familie und in einem Mädchengymnasium in den 1970ern in der Eifel war also auch ein Leben unter der Käseglocke. Wer meint, die eigene Käseglocke sei nicht existent oder werde ja häufig genug „gelupft“, um frischen Wind reinzulassen, der werfe sicherheitshalber mal einen Stein.
Christine Köhler, Melle
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