das portrait
: Der Linguist Jannis Androutsopoulos liest Wände

Erforscht die Sprache der Stadt: Linguist Jannis AndroutsopoulosFoto: Arvid Mentz/Uni Hamburg

„Fuck Covid“ steht fahrig gekritzelt auf einem Baumarkt-Schild. An einem Laternenpfahl Abreißzettelchen für Grußkarten an „die, die ihr vermisst“. Auf einem Zaun Graffiti: Gelb auf Türkis, doppelzeilig, meterlang: „Geht lieber nur zur zwein! Lasst alles andere sein!“ Wer sich auf der Online-Karte von LinguaSnappHamburg durch die 682 Foto-Einträge klickt, ahnt schnell, dass Medienlinguist Jannis Androutsopoulos von der Uni Hamburg skurrile Forschungsfelder mag. Seit 2018 analysiert Androutsopoulos in LinguaSnappHamburg die Sprachlandschaft der Stadt, die Sichtbarkeit und Funktion schriftlicher Sprache im öffentlichen Raum. Studierende machen dafür Fotos von Ladenschildchen und Plakaten, von Zetteln, Graffiti und Aufklebern, von Maueraufschriften und Gehwegbotschaften aller Art, von Handgeschriebenem bis zum PC-Print, von Edding bis Kreide.

Corona hat Androutsopoulos ein neues Forschungsfeld beschert: Allerorten improvisierte Botschaften auf Pappe und Papier, in Fensterscheiben, auf Aufstellern. Ein gigantisches gemeinsames Thema der lokalen sozialen Kommunikation. Allerorten Regelungen, Warnungen, Vorschriften, Mutmachendes, Hilfsangebote. Corona verändert das Stadtbild massiv – und die Sprachlandschaft. „Sogar Behörden, deren Sprache meist stark standardisiert ist“, sagt Androutsopoulos, „bedienten sich einer nicht standardisierten Sprache.“

Androutsopoulos, 54, ist in Athen geboren und aufgewachsen. Seine wissenschaftliche Laufbahn umfasst Stationen von Heidelberg über Mannheim bis Hannover, danach ging es ans King’s College, London, seit Ende 2009 ist Androutsopoulos in Hamburg. Gastdozenturen führten ihn nach Norwegen und Südafrika, nach Australien und in die USA.

Der weltgewandte Medienprofessor mag das Augenzwinkern. Die Website, auf der er seine wissenschaftliche Arbeit archiviert, enthält eine Rubrik mit dem skurrilen Titel „15 mins“ („Meine 15 Minuten Ruhm in kleinen Häppchen“), was natürlich auf Andy Warhols 15 minutes of fame verweist und, klar, Medienresonanz enthält. „Ich lehre, forsche und lebe auf Deutsch, Englisch und Griechisch“, schreibt er.

Untersuchungsgegenstand Corona: Näher dran an unserer Alltagswelt kann Forschung kaum sein. Auch in eine Vorlesung hat Androutsopoulos das Thema schon eingebaut. Aber selbstverständlich ist es nicht das einzige sozialpolitische Thema, über das Androutsopoulos’Studierende zurzeit stolpern. Sie finden auch Sachen wie: „Einer guten Pflege / Steht Profit im Wege“. Man kann die Botschaft mit Füßen treten; sie steht auf zwei Treppenstufen. Harff-Peter Schönherr