Deshalb bin ich hier

Die drei Mitglieder des Wahlcamps der taz Panter Stiftung über ihre Hintergründe, Zukunftsvisionen und Beweggründe zur Teilnahme

Ruth Fuentes

Die zwei politisch prägendsten Ereignisse meiner Kindheit – neben dem 11. September – fanden in Spanien statt. Gar nicht so ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass ich zur Hälfte Spanierin bin und wir sehr oft dort waren. Das erste war der Anblick eines von baskischen Separatisten zerbombten Hotelkomplexes in Gandía an jenem Strand, an dem ich eigentlich noch unschuldig im von Zigarettenstummeln übersäten Sand spielte – mein erster bewusster Kontakt mit dem Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit und der Frage nach den Grenzen in diesem Kampf. Beim zweiten Ereignis war ich etwas älter und besuchte die Weltausstellung in Zaragoza. Das Highlight war die riesige Installation eines untergehenden Eisbergs, etwas pathetisch begleitet von Untergangsmusik, aber auch von echten Fotos und Videos von Müllbergen, Massentierhaltung, Überproduktion, Dürrelandschaften. Um mich herum standen Menschen, die Eis aßen, applaudierten und am nächsten Tag ihren Alltag wieder aufnahmen. Mittendrin mein 14-jähriges Ich, das sich fragte, ob die Welt noch zu retten sei, wenn die Menschen vor etwas so Offensichtlichem die Augen verschlossen.

Ich wurde zwischen den Ramstein-Kasernen und dem Betzenberg geboren, wo die Woche über gearbeitet wird und der Fußball samstags Hoffnung bietet. Später zogen wir in eine Kleinstadt im Odenwald. Augen verschließen vor der Realität, altbewährte Strukturen und konservative Werte machten meine Kindheit wohlbehütet und die Jugend schwer. In der Grundschule waren wir mehr Kinder mit Migrationshintergrund als ohne, auf dem Gymnasium nicht mehr. Dort lernten wir, wir seien die „Elite“ und dass Erfolg nur von Leistung und Fleiß abhänge. Natürlich ging ich danach an die Uni und nicht als Greenpeace-Aktivistin Wale retten, wie ich mir das mit 14 vorgestellt hatte. Im Studium wollte ich Mathematik verstehen und lernte vielmehr, dass das als Frau unter den Kommilitonen und manchen Dozenten oft nicht erwünscht ist. Ich las Beauvoir, um zu verstehen, warum das so war, dann ein bisschen Butler, was mich nur noch mehr verwirrte. Und schließlich studierte ich ein Jahr lang in Madrid und lernte dort wenig fürs Studium, aber viel über Marxismus, Existenzialismus, den Spanischen Bürgerkrieg und darüber, dass Deutschland mehr politisches Engagement an den Unis braucht. Ich fing an, auf Demos zu gehen. Mich begann die Frage zu beschäftigen, inwieweit Freiheit und Eigenverantwortung mit sozialer Ungerechtigkeit und Klimapolitik einhergehen.

Somit begann ich, für die Studierendenzeitung zu schreiben, und das war Fluch und Segen zugleich. Endlich konnte ich über die Missstände berichten, die mich beschäftigten, und gleichzeitig fand ich heraus, dass es noch viel mehr gab. Aber ich wollte das weiterführen: Dinge kritisch hinterfragen, Menschen eine Stimme geben, die von Politik und Gesellschaft ignoriert werden, über Themen schreiben, bei denen manche sich wünschen, sie blieben im Verborgenen, und es vielleicht schaffen, dass einige nicht mehr die Augen verschließen vor den Problemen der Gegenwart. Deshalb bin ich hier.

Shoko Bethke

Fridays for Future geben mir Hoffnung. Nicht nur, weil sie sich verstärkt für ­Klimapolitik einsetzen und sich mit verschiedenen Menschengruppen solidarisieren, sondern auch, weil sie sich so intensiv mit politischen ­Themen auseinandersetzen. Und wie alt sind die Kids? Sechzehn? Fünfzehn? Als ich so alt war, ging politisches Engagement völlig an mir vorbei. Ich wollte lieber feiern gehen, Freun­d:in­nen treffen und Geld ausgeben für Kleidung. Das kritische Denken kam erst mit zwanzig.

Ich saß mit drei Kommilitonen in Berlin am Wittenbergplatz und aß Eis. Es war mitten im Sommer, die Straßen glühten, und plötzlich sagte einer der Jungs: „Boah, wie die angezogen ist, soll sie sich nicht wundern, wenn ihr hinterhergepfiffen wird.“ Ich schaute auf. Zu sehen war eine junge Frau in unserem Alter mit Tanktop und einer kurzen Hose. Gewöhnliche Sommerkleidung.

Ich spürte, wie sich in mir etwas stark gegen seine Aussage auflehnte, doch ich fand nicht die Worte, um mich zu artikulieren. Niemand argumentierte dagegen, der Satz blieb in der Luft hängen und bohrte sich in mich hinein.

Das Gefühl der Ohnmacht, nicht Kontra geben zu können, verfolgt mich bis heute, auch wenn ich inzwischen dank Dutzender Bücher und Podcasts weiß, wie ich ihm direkt eins auf den Deckel geben könnte. In diesem Moment machte aber etwas Klick in mir. Ich merkte, dass die Art, wie Menschen miteinander umgingen, wie sie sich gegenseitig kommentierten, ansahen, ­objektifizierten, mir nicht gefiel. Von dem Moment an war ich, ohne es selbst zu wissen, Feministin, und im Laufe der Jahre beschäftigte ich mich mit allem, was ich in unserer Gesellschaft als ungerecht empfand. Und sobald ich mir einer Ungerechtigkeit bewusst wurde, sah ich sie auf einmal überall.

Mittendrin sah ich auch den Kern des Problems: Es waren meistens weiße Menschen, meistens cis, meistens heterosexuell, meistens gebildet, meistens männlich, die noch nie im Leben diskriminiert worden waren und sich darüber aufregten, dass sie nun in Schubladen gesteckt werden wie „cis“ oder „weiß“ – und nicht begreifen, dass sie all diese Jahre alle anderen Menschen in Schubladen gesteckt hatten. Aber auch ich musste feststellen, dass ich Teil des Problems war. Trotz eigener Sexismus- und Rassismuserfahrungen war auch ich verdammt privilegiert. Ich hatte keine finanziellen Probleme, bin nicht Zielobjekt von Nazigewalt, hatte mein Abi geschafft und war halbwegs gesund.

Und natürlich ist das doof, sich eingestehen zu müssen, dass man privilegiert ist. Dass unsere Welt ungerecht ist. Nicht uns gegenüber, aber anderen Menschen gegenüber. Und man kann eben die Augen davor verschließen, oder man kann versuchen, diesen Umstand zu ändern. Klar tut es weh, sich einzugestehen, dass die eigenen Eltern nicht so heilig sind, dass die eigene Heimat nicht das Wunderland ist, dass man selbst nicht betroffen ist von Rechtsextremismus, Sexismus, ­Antisemitismus, Klassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Massentier­haltung, ­Klimakatastrophen und so weiter.

Und all das nervt, und manchmal möchte ich all diese Probleme ignorieren und es mir so richtig gut gehen lassen. Ich will Sushi essen, Flugreisen buchen und meine Beine rasieren, ohne einen Hauch von schlechtem Gewissen zu haben.

Aber das würde nicht zur Gesellschaft führen, die ich mir wünsche. Ich will ein Leben miteinander, in dem wir aufeinander achtgeben, uns für die einsetzen, denen eine Stimme fehlt. Und das bedeutet: Ich muss Streit mit meiner Familie in Kauf nehmen, muss mich gegen meinen Vorgesetzten auflehnen, muss mich aus toxischen Beziehungen befreien, muss in Konfliktsituationen eingreifen, auch wenn das alles schwerfällt. Sonst bleibt die Welt so, wie sie jetzt ist, und das ist keine Welt, die ich den Fridays-for-Future-Kids überlassen will.

Jaromir Schmidt

Ich glaube, die Reisen mit meinen Eltern haben mich am meisten bewegt. Wir sind seit 2014 viel mit dem Wohnmobil durch Europa gereist, und da habe ich einfach unglaublich viel gesehen. Viele Menschen, aber auch viel Natur. Das hat mich nachhaltig beeinflusst. Gerade die Alpen und ihre Gletscher sind sehr bedroht durch den Klimawandel, wie ich bei unseren Wanderungen merkte. Ich denke, die Erinnerung daran ist eine Hauptenergiequelle für meinen Aktivismus.

Am journalistischen Beruf reizt mich, dass man unter anderem seine Meinung schreiben kann. Meiner Meinung nach fehlt der Klimabewegung eine starke Stimme, und das meiste, das wir äußern, findet keinen Platz in den Medien, es wird nicht richtig repräsentiert.

Natürlich muss man als Jour­na­lis­t:in versuchen, unabhängig und neutral zu berichten, aber das lässt sich ja mit der Klimabewegung auch vereinen. Denn die Bewegung ist stark faktenbasiert und wird auch von der Wissenschaft unterstützt.

Ich habe aber auch verstanden, dass die Bewegung auch mit anderen Themen zusammenhängt. Ich bin sehr privilegiert in meiner Rolle, und deshalb sehe ich es als meine Aufgabe, meine Stimme deutlich stärker zu erheben. Es gibt Menschen, denen die Grundrechte fehlen, die keine Zeit haben, sich dafür einzusetzen. Deswegen muss ich umso lauter sein und meinen größtmöglichen Beitrag leisten. Falls ich irgendwann Kinder haben sollte, möchte ich die Entscheidung auch nicht bereuen müssen. Auch deswegen ist es mir wichtig, für eine Welt zu kämpfen, in der später alle leben können.

Was die Boomer angeht – wir müssen sie definitiv dazu zwingen, Klimapolitik zu machen, weil wir inzwischen gesehen haben, dass gut zureden und auf die Straße gehen nicht viel gebracht hat. Leider habe ich auch keine konkrete Lösung, wie wir das schaffen können. Ich glaube auch nicht, dass die Lösung darin besteht, den Grünen beizutreten. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass wir ein Recht auf Zukunft haben. Wir haben also eine rechtliche Grundlage.

Damit will ich die Menschen nicht in Generationen teilen. Die Bewegung, in der ich aktiv bin, ist generationenübergreifend. Und das ist verdammt wichtig. Das Ganze ist eben nicht nur unser Problem, sondern auch das der Boomer, denn auch sie werden die Folgen miterleben.