Hallo Jugendstil

Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen: Das unkonventionelle Ausstellungsprojekt „Gegenwart: Doing Youth“, eigentlich geplant schon im vergangenen Jahr, wird dieser Tage in Hamburg nachgeholt

Andächtig stille Kunst­betrachtung? Gibt’s anderswo Foto: Nikolai Meierjohann

Von Falk Schreiber

Die Aula der Hamburger Hochschule für bildende Künste ist ein magisch aufgeladener Ort. Einerseits, weil man weiß, welche Karrieren im Fritz-Schumacher-Bau am Uhlenhorster Lerchenfeld begonnen haben, von Albert Oehlen über Rebecca Horn bis Jonathan Meese. Andererseits auch wegen des Raumes selbst, eines großzügigen Saal in Jugendstildekor, geprägt von Willy von Beckeraths „Die ewige Welle“. Das von 1911 bis 1918 entstandene achtteilige, monumentale Wandgemälde beschreibt die Entwicklung einer Kulturepoche. Die wird vorangetrieben von der Jugend – und ist so ein vom Moderne-Pathos aufgeladener Gruß an die Studierenden, die an der HFBK die Kunst weiterbringen sollen.

Diese Aula also durchdringen schrille Töne: ein Sirren, ein Scheppern, ein Knirschen. Irgendwann schälen sich elektronisch verzerrte Stimmen aus den Sounds heraus, irgendwann hört man ein Heulen und glaubt, einzelne Worte zu verstehen, bis sich die Stimmen wieder im Höllenrauschen verlieren. Für „Peine forte et dure“ hat die britische Künstlerin Keira J Fox Texte der Aktivistin Anna Trapnell gesampelt, die Mitte des 17. Jahrhunderts im Umfeld der puritanischen Sekte Fifth Monarchy Men in England auftauchte und heute als frühe Feministin gelten kann.

Fox’ Klanginstallation dokumentiert die Suche nach einer „anderen Stimme“, nach einem Sprechen jenseits der patriarchal aufgeladenen Konvention, am Ende nach einer neuen Form der Kommunikation, die eine inhaltliche Entsprechung in der Sehnsucht nach neuem künstlerischen Ausdruck in „Die ewige Welle“ findet. „Peine forte et dure“ –benannt nach einer historischen Art der Folter, wenn nicht Hinrichtungsmethode – mag nerven, in seiner Verweigerung einer klaren Positionierung, in seiner Schrillheit und Unversöhnlichkeit, aber: In der Hochschul-Aula findet das Stück seinen perfekten Ort.

Und diese „sound intervention“ ist auch die perfekte Eröffnung für das Ausstellungsprojekt „Gegenwart: Doing Youth“: Die HFBK-Absolventinnen Lisa Klosterkötter und Elena Malzew haben ein insgesamt viertägiges Programm entwickelt, das schon im Titel die Jugendlichkeit als Triebfeder der Kunstproduktion feiert. Das mag ein wenig penetrant erscheinen, ein wenig kurz gedacht vielleicht auch, ist aber durch die Eröffnung sozusagen im Schatten von Beckeraths Wandgemälde inhaltlich durchaus verankert. Und es erweist sich in seinem Rückgriff auf Klassizismus und Jugendstil als überraschend geschichtssicher.

Eigentlich hätte „Gegenwart: Doing Youth“ schon 2020 stattfinden sollen, die Coronapandemie verschob das Projekt um ein Jahr, auch mussten Veränderungen am Programm vorgenommen werden. So hatte Fox eigentlich eine Performance in den Räumen der Hochschule geplant, stattdessen hört das spärliche Publikum mit „Peine forte et dure“ nun nur eine Klangintervention. Auch eine echte Eröffnung im Sinne einer feierlichen Aktion gibt es nun nicht: Die Soundinstallation wird durch einen Klick gestartet – dann läuft „Gegenwart“. Das wirkt auf eine nicht unsympathische Weise beiläufig, es versperrt sich aber auch so stark der Kunstkonvention, dass man sich auf eine gewisse Weise abgewiesen fühlt. „Gehen Sie weiter“, sagt diese Sprödigkeit, „hier gibt es nichts zu sehen.“ Am allerwenigsten eine „richtige“ Vernissage.

Gegenüber einem sommerlichen Kulturprogramm, das es manchmal mit der Konsumierbarkeit zu übertreiben scheint, setzen die Kuratorinnen einen hübsch unzugänglichen Kontrapunkt

Statt klassischer Eröffnungsstrukturen gibt es Barinstallationen: So eine haben Hilma Bäckström und Jil Lahr unter dem Titel „The Fountain Of Youth“ im Keller der Neuen Barmbeker Apotheke aufgebaut, eines Off-Kunstraums in der Fuhlsbüttler Straße. Dort stellt gleichzeitig Kristin Loschert ihre Fotoserie „Gymnasium, 2013“ aus: unspektakulär-traurige Aufnahmen aus dem Askanischen Gymnasium Berlin-Tempelhof, die auffallen durch gerade Linienführungen und weitgehenden Verzicht auf jede menschliche Präsenz. Und während man diese an Technik- und Architekturfotografie angelehnten Arbeiten anschaut, fällt einem auf: Es geht vielleicht gar nicht so sehr um Kunst, es geht um Orte; darum, Linien zu ziehen: von der mit Jugendstil aufgeladenen Hochschule über einen verkehrsumtosten Spielplatz, auf dem Samantha Bohatsch ihre zerbrechlich-stille Performance „IMR“ aufführt, bis zum Off-Space im Arbeiterstadtteil.

Und von dort aus an einen erst einmal wirklich kunstfernen Ort: in den Kiosk. Während der Festivaltage werden nämlich in diversen Kiosken Editionen einzelner Künst­le­r:in­nen verkauft, ästhetische Interventionen also an primär auf den Warenaustausch konzentrierten Orten. Wobei diese Interventionen manchmal allzu versteckt daherkommen: Die Suche nach Ella Flecks modifizierten Chipspackungen im Kiosk Uhlenshop jedenfalls ist erfolglos, auch ein Mitarbeiter kann nicht weiterhelfen.

Das ist vielleicht die Problemzone von „Gegenwart: Doing Youth“. Zumindest am Eröffnungstag, hakte das Programm – von der ziemlich unübersichtlichen Website über nicht kommunizierte Verzögerungen im Ablauf bis zu Ansprechpartner:innen, die irritiert auf Fragen nach der Kunst reagieren. Aber vielleicht passt diese Sperrigkeit ja auch zur postulierten Jugendlichkeit des Projekts – gegenüber einem sommerlichen Kulturprogramm, das es manchmal mit Zugänglichkeit und leichter Konsumierbarkeit zu übertreiben scheint, setzen die Kuratorinnen Klosterkötter und Malzew jedenfalls einen hübsch unzugänglichen Kontrapunkt.

„Gegenwart: Doing Youth“: bis So, 18. 7., div. Orte; Programm und Infos: https://gegenwart.jetzt (nicht barrierefrei)