Ende der Petromoderne

Ein Atlas der Geografien, Industrien und Träume aus Erdöl

Benjamin Steininger und Alexander Klose: „Erdöl. Ein Atlas der Petro­moderne“: Matthes & Seitz, Berlin 2021, 324 Seiten, 26 Euro

Von Helmut Höge

Dieser „Atlas der Petromoderne“ behandelt eine abgeschlossene Ära: „Das Zeitalter fossiler Brennstoffe und mit ihm die petromoderne Ära scheinen zu Ende zu gehen“, schreiben Alexander Klose und Benjamin Steininger gleich im ersten Kapitel ihres „Erdöl. Ein Atlas der Petromoderne“. Alexander Klose (Berlin), Benjamin Steininger (Wien) und die kulturwissenschaftlich orientierte Forschergruppe „Beauty of Oil“ bereiten seit 2017 eine „Retrospektive“ der Ära im Kunstmuseum Wolfsburg vor: „Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“. Die ebenso aufwendige wie tiefschürfende Ausstellung eröffnet am 4. September, sie thematisiert die globalen Probleme Anthropozän, Klimaerwärmung, indigene Arbeits- und Lebensbedingungen.

Der Eingangstext ihres Erdöl-Atlas befasst sich erst einmal mit dem Mythos „Atlas“ – ausgehend von der Idee des „Shell-Straßenatlas“, der seit 1950 bereits aufs Schönste Erdöl und Mobilität garantiert. Sowie auch ausgehend vom „Atlas-Gebirge“ – so wie Alexander von Humboldt dessen vertikal differenzierte Vegetation sah. Analog dazu geht es bei der Erdöl-Exploration und Förderung um (geologische) Schichtungen, um Geschichte und Geschichten. Bei den Tiefenbohrungen werden Bohrkerne zutage gefördert, die paläontologisch aufschlussreich sind. Wirtschafts- und kulturwissenschaftlich aufschlussreich ist daneben, dass die Unternehmen im Oilfield-Service inzwischen wichtiger als die Ölkonzerne geworden sind und dass fieberhaft nach Alternativen zu fossilen Energieträgern, das heißt, nach regenerativen Energiequellen gesucht wird.

Als Leitmotiv für den Atlas gilt: Mit der petromodernen Mobilität war in den letzten 150 Jahren die Idee der absoluten Freiheit und des Überflusses verbunden – das ist vorbei. Dahinter ging es um die Kolonialisierung der Natur, wobei die Schönheit der menschlichen Kultur darin bestand, dass sie das überschreitet, dass sie alles überschreiten kann. „Das stimmt ja auch, aber nur, weil der Input an fossiler Energie da immer rausgerechnet wurde“, meint Klose, der von „Extraktivismus“ spricht sowie von „Neo-Extraktivismus“, wobei er uns als „Arbeiter“ denkt, die wir am laufenden Band Daten produzieren, die Rohstoff für IT-Konzerne und Geheimdienste sind. Das ist der Preis der Internetfreiheit. Dazu braucht es starke Rechner. Ironischerweise stellt die „Geo­seis­mik einen der wesentlichen historischen Schrittmacher für die Entwicklung immer leistungsfähigerer Rechenzentren dar“, also die Suche nach Erdölvorkommen, „Kohlenwasserstoffprospektion“ genannt, die „seit den 1960er Jahren zu den komplexesten Fragestellungen der Datenverarbeitung“ gehört, wie es im „Atlas“ unter dem Stichwort „Exploration“ heißt. Nach einem Gedanken des aus einer argentinischen Erdölstadt stammenden Dichters Mario Trejo, den er in Bertoluccis Film „La via del pe­tro­lio“ äußert („Das Öl, es bedeutet Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“) schreiben die Autoren: „Diesen letzten Punkt müsste man heute anders verhandeln und als Zukunft der unsere Existenz definierenden Pipelines auch ihren Rückbau ins Auge fassen.“