berliner szenen: Schlechte Presse wettmachen
Mein hitzetaumelnder Blick streift sehr unterschiedliche Paare: Arbeitsschuhe, bequeme Schuhe, Kinderschuhe, teure Schuhe, sehr teure Schuhe, ausgezogene Schuhe, Sandalen. Sie gehören zu den Menschen, die an Bistro-Tischen im Schlüterhof sitzen, dem Innenhof des wiederaufgebauten Schlosses. Touristen, Handwerker, Mitarbeiterinnen mit Projektskizze, Musikerinnen, vielleicht von der Hanns-Eisler gegenüber, mit einer Partitur. Sogar der Chef des Hauses begrüßt hier gerade einen prominenten Gast. Der Schlüterhof scheint ein gefragter Treffpunkt zu sein. Wo die moderne Fassade auf die Schlossnachbildung stößt, lädt Schatten zum Verweilen ein.
Die Frage, wie die drinnen bald zu bestaunenden Objekte hier hergekommen sind – gekauft oder geraubt –, scheint gerade nicht viele zu beschäftigen. Eher die Frage, wie viel von dem ansprechenden Salatbüffet in eine kleine Bowl für 4,50 passt (genug). Und ob ein Cappuccino schmecken kann, der in einem Becher angeboten wird (schmeckt). Die Freundlichkeit der hier Beschäftigten ist auffallend, oft ist der Ton in den Berliner Museen ja eher militärisch rau. Der Mann am Eingang lächelt, auch wenn die Touristin sich nicht für seinen Flyer interessiert, sondern nur für den Weg zur Toilette. Die Frau an der Bistro-Kasse springt auf, um ein kippelndes Tablett abzunehmen, der Putzmann weist auf einen freiwerdenden Tisch. Einer der Guides, darauf angesprochen, hat die Erklärung parat: Das Haus hatte ja ziemlich schlechte Presse, immer wieder, das wollen sie wettmachen. Schließlich seien sie vom Service das Aushängeschild des Humboldtforums. Es klingt, als fühle er sich persönlich für das Gelingen des Unternehmens verantwortlich – da hat er sich wohl zu viele Jahrzehnte auf die Schultern geladen.Claudia Ingenhoven
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