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Neues Gesetz in indischem BundesstaatAuf in die Zwei-Kind-Politik

Zum Weltbevölkerungstag legt die Regierung von Uttar Pradesh einen Gesetzentwurf vor. Dieser benachteiligt Eltern von mehr als zwei Kindern.

In Indien wollen Hindunationalisten kleinere Familien durchsetzen Foto: Rajesh Kumar Singh/ap

„Eine wachsende Bevölkerung kann ein Hindernis auf dem Weg der Entwicklung sein“, sagte Ajay Mohan Bisht (BJP) bei seiner Ansprache anlässlich des Weltbevölkerungstags am Sonntag. Der Ministerpräsident des nordindischen Bundesstaates Uttar Pradesh (UP) verwaltet eine Bevölkerung, die größer ist als die Brasiliens. Seit den späten 1980er Jahren hat sich die Einwohnerzahl im „nördlichen Bundesstaat“ etwa verdoppelt auf geschätzte 230 bis 240 Millionen. Bisht, der wegen seiner Coronapolitik stark in die Kritik geraten ist, will drastische Schritte gehen und hat nun einen Gesetzentwurf für eine Zwei-Kind-Politik vorgestellt.

Auch in anderen Bundesstaaten gibt es Anreize für kleine Familien – doch Bishts Vorschlag stellt die bisher stärkste Diskriminierung kinderreicher Eltern dar. Wer mehr als zwei Kinder hat, soll für Positionen in der Regierung ausgeschlossen werden, Beförderungen im öffentlichen Dienst sollen ausgesetzt werden. Dies sind nur zwei Maßnahmen eines ganzen Katalogs. Auf der anderen Seite soll es Steuererleichterungen für kleine Familien geben, etwa eine kostenlose medizinische Behandlung von Einzelkindern, wenn sich ein Elternteil sterilisieren lässt.



Sujatha Rao, ehemalige hochrangige Beamte im indischen Gesundheitswesen, kritisiert den Vorstoß auf Twitter als „extrem rückschrittliche Maßnahme, die den Armen schaden wird“. Bei jüngeren Kampagnen in Indien ging es statt um Diskriminierung eher darum, ein Bewusstsein für die Vorteile von Familienplanung zu schaffen. Die Geburtenrate ging zurück, allerdings nicht überall im gleichen Maße. In UP liegt sie über dem Landesdurchschnitt von 2,2 bei etwa 2,9 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter. Die Bevölkerung wächst. Indien steuert bereits auf 1,4 Milliarden zu.

Neben Uttar Pradesh hält auch die Regierung des kleinen nordöstlichen Bundesstaates Assam eine Zwei-Kind-Politik für nötig, um einen Bevölkerungsanstieg zu kontrollieren. Beide werden regiert von der hindunationalistischen Volkspartei BJP. In UP wie Assam kamen die Ankündigung im Vorfeld von Regionalwahlen. In Uttar Pradesh werden sie im nächsten Jahr abgehalten. In Assam wurde die BJP kürzlich im Amt bestätigt. 



Hardliner behaupten, Muslime wollten Demografie ändern

Hindu-Hardliner argumentieren immer wieder, dass Muslime kinderreicher seien und so die Demografie in Indien ändern wollten. Derzeit sind 80 Prozent der Bevölkerung Hindus, 13 Prozent sind Muslime. Kurz nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 lag der Anteil der Hindus bei 84 Prozent, der der Muslime bei unter 10 Prozent. In Uttar Pradesh ist der Anteil der muslimischen Bevölkerung nach Zahlen von 2012 mit 20 Prozent höher als im Durchschnitt.

Teile der Bevölkerung sorgen sich bereits, dass die Regierung Maßnahmen mit Zwang durchsetzen wird. So etwa Ravi Rasool, Vater von zwei Kindern aus Uttar Pradesh. Er ist skeptisch: „Ich glaube, dass ein Paar, das zwei Mädchen bekommen hat, auf jeden Fall versuchen wird, die Erb­linie fortzusetzen, bis sie einen Sohn bekommen“, – und das unabhängig von der Religion.

Der Minister für Minderheiten Mukhtar Naqvi (BJP) nannte den Vorschlag einen willkommenen Schritt. Die oppositionelle Kongress-Partei sprach von einer „politische Agenda“, mit der man vor den Wahlen punkten wolle. Iqbal Mehmood, Abgeordneter der unter anderem bei der muslimischen Minderheit stark vertretenen Samajwadi Party, warnte vor einer „Verschwörung“ gegen Muslime. Der Anstieg der Bevölkerung sei auf Dalits, die Angehörigen der untersten Kaste, und Indigene zurückzuführen.

In mehreren Bundesstaaten wie Maharashtra gibt es seit Längerem „Anreize“ dafür, sich für kleinere Familien zu entscheiden. Beispielsweise können Personen mit mehr als zwei Kinder nicht für kommunale Stellen zur Wahl antreten.

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9 Kommentare

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  • Die Menschen sind nicht arm, weil sie viele Kinder haben, sondern sie haben viele Kinder, weil sie arm sind. Übrigens glaube ich, dass Ratschläge zur Familienplanung aus westlicher Sicht ueberfluessig sind. Wir könnten ja mit gutem Beispiel voran gehen, stattdessen fördern wir hier die Vermehrung durch Gebärpraemien und andere Anreize.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Fakt ist, es gibt zuviele Menschen = zuviele Probleme.

    Deshalb ist dies ein richtiger Schritt. Allerdings muss auch eine Alterssicherung damit einher gehen. In vielen Ländern ist man im Alter ohne die Unterstützung der Kinder aufgeschmissen.

  • taz: „Ich glaube, dass ein Paar, dass zwei Mädchen bekommen hat, auf jeden Fall versuchen wird, die Erb­linie fortzusetzen, bis sie einen Sohn bekommen“, – und das unabhängig von der Religion.

    Und hier liegt das eigentliche Problem, denn China hatte sich damals mit seiner "Ein-Kind-Politik" auch ziemlich geschadet. Diese Dummheit wird China aber nicht noch einmal machen. Die Chinesen haben mit ihrer "Ein-Kind-Politik" alles in ihrem Land durcheinander gebracht. Es wurden Mädchen abgetrieben oder zur Adoption freigegeben. In China - wie in vielen Ländern - gelten Söhne nämlich als ein Garant für die Eltern, um im Alter nicht hungern zu müssen. Heute finden 40 Millionen junge chinesische Männer keine Frau und "kaufen" oder "klauen" sich schon welche aus ärmeren asiatischen Ländern - wie z.B. aus Vietnam.

    Armut und soziale Ungerechtigkeit sind das wahre Problem in dieser Welt. Wären die Menschen in diesen Länder sozial abgesichert, dann hätten sie auch nicht so viele Kinder. Dann kommt noch hinzu, dass einem armen Land nach dem anderen "Freihandelsabkommen" diktiert wurden, die ihre heimische Produktion vernichtet und ihre Märkte zur Beute westlicher Agrarmultis und Industriekonzerne gemacht haben (siehe z.B. Afrika).

    Es ist zwar richtig, dass die Überbevölkerung ein großes Problem darstellt, aber ab einer gewissen Zahl an Menschen kann man da ohnehin nicht mehr viel dran ändern. Im Jahr 1900 hatten wir 1,6 Milliarden Menschen weltweit und heute, gerade einmal 121 Jahre später, sind wir schon bei rund 8 Milliarden Menschen angelangt - also fünf Mal soviel. So etwas nennt man exponentielles Wachstum, obwohl es eher superexponentielles Wachstum heißen sollte. Es hört aber nicht auf, denn jedes Jahr kommen rund 83 Millionen Menschen hinzu. 83 Millionen Menschen, also etwa soviel wie ganz Deutschland an Einwohner hat. Wer etwas Mathematik beherrscht, der weiß, dass der Exponent bei dem exponentiellen Wachstum dabei natürlich auch immer größer wird.

    • @Ricky-13:

      Ich möchte hier zur weiteren Information zum Thema Guang Gun, Äste die keine Früchte tragen, auf die informative Doku von Arte verweisen.

      info.arte.tv/de/china-maenner-not

  • Es gibt kein Menschenrecht auf eine kinderreiche Familie.

    Auf Familienplanung, Empfängnisverhütung und Geburtenkontrolle schon.

    Warum wohl? Weil die Bevölkerungsexplosion sowohl für bestimmte Regionen, aber auch Länder und sowieso für die ganze Welt eine Katastrophe darstellt.

    Eine der Hauptursachen für Klima-GAU, 6. Artensterben und Zerstörung der Erde.

    Indien ist ein Land, welches mit etwa 400 Millionen Menschen ein Maximum erreicht hatte, welches für das Land noch okay war. Dies war etwa um 1960.

    Bereits vor 50 Jahren hätte Indien, genau wie China eine allgemeine Geburtenkontrolle einführen müssen.

    Vielleicht nicht unbedingt die Ein-Kind-, sicher jedoch die Zwei-Kind-Politik, unabhängig von Einkommen, Religion und gesellschaftlicher Stellung.

    Es ist viel zu spät. Mal in Indien gewesen? Ich kenne es, war öfters dort und mag Land und Leute.

    Doch die Entwicklung über die vergangenen Jahrzehnte ist vernichtend.

    So schade um dieses Land.

    Um dieses zu erhalten, Mensch und Tier ein würdiges Dasein zu gewähren und die Reste von Schönheit der Natur zu erhalten, wäre eine landesweite Ein-Kind-Politik sicherlich eine geeignete Maßnahme.

    • @shantivanille:

      Ich bin der Meinung, dass es beim Klima-GAU nicht darauf ankommt ankommt wie viele Millarden Menschen es demnächst mehr gibt, sondern wie wir alle konsumieren. Ich glaube, dass die nicht gerade bevölkerungsreichsten Industriestaaten des globalen Norden, es mit ihrem Treibhausgasausstoß allein schon geschafft den Klimawandel richtig in Gang zu bringen, an der Anzahl der Menschen kann es darum ja vielleicht erst einmal nicht liegen.

  • Mit "Erblinie" ist ja wohl Macht- und Heiratspolitik gemeint. Das ist keineswegs unabhängig vom gesellschaftlich-religiösen Kontext zu sehen! Oder zeigen Sie mir in D die Paare mit 2 Töchtern, die - weil bislang "nur" Töchter - unbedingt noch einen Sohn haben wollen.

    • Natalie Mayroth , des Artikels, Reporterin
      @Chutriella:

      Es wäre nicht so sehr überraschend, aber ist das in Deutschland auch ein Thema?

      • @Natalie Mayroth:

        Ich kenne es aus dem Bekanntenkreis tatsächlich nur andersrum. Ein drittes Kind, damit es endlich ein Mädchen gibt.



        ;)