berliner szenen
: Die Reihenfolge der Väter

Am Morgen, nachdem wir endlich etwas Schlaf gefunden hatten, dicht bei einander liegend und darauf bedacht, keine Geräusche zu machen, die den Schlaf des anderen stören könnten, sah Emma kurz auf, prüfte die Uhrzeit, wollte etwas, einen Kaffee, einen Saft, etwas zu essen, was man halt so will, wenn der Tag beginnt. Sie regte sich, sagte halblaut einen Halbsatz über ihren Vater, den ich nicht verstand, kurz fragte ich mich, ob es der verstorbene war, oder der, der die Mutter früh verlassen hatte, oder ein dritter, normaler, unscheinbarer Vater, ich hatte die Reihenfolge der Väter vergessen, wusste es nicht mehr. Und schon redete Emma über Farben. Sie stellte sich lindgrüne Planquadrate vor, die man aus dem Flugzeugfenster aus sehen konnte. Sie stellte sich vor, an einem Flughafen zu lächeln. An dem neuen, funkelnagelneuen Flughafen, der etwas Sauberkeit und Weite verspricht, etwas, das dieser Stadt grundsätzlich fehlt. Die Eckdaten von Planeten. Einen Schulhof voller kleiner Kreise, Kreidekreise, in denen Einzelkinder oder einzelne Kinder auf Picknickdecken saßen. Aufgaben, die sie von der Arbeit in die Freizeit hinüber nahm. Sie stellte sich, noch immer nur leicht bekleidet, es war in diesem inzwischen dritten oder auch achten Berliner Klimakrisensommer heiß genug, ans Fenster und sah hinaus; sie fühlte sich augenscheinlich wohl, denn sie mochte den Kirchturm der katholischen Kirche und die angeschlossene Kita vor dem Küchenfenster, sie mochte den davor liegenden Garten, die Katzen, die sich nachts draußen Kämpfe lieferten und schrien. Sie mochte die neue Helligkeit im Zimmer. Sie hatte schöne Beine, sie winkelte sie nur falsch an. Und sie hatte kalte Hände. Mit diesen kalten Händen fasste sie mich an. Aber ich mochte nicht angefasst werden an so einem frühen Sommermorgen. René Hamann