Unwürdige Haftroutine

Die „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“ hat sich die JVA Bremervörde angesehen. Kritisiert wird die Art, wie dort nackte Gefangene durchsucht werden

Dass die Würde und das Schamgefühl von Gefangenen zu berücksichtigen sind, ignorieren viele Gefängnisse – und nutzen zur Durchsuchung einen Spiegel Foto: Panthermedia/Imago

Von Nadine Conti

Die „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“ klingt nach Politthriller und etwas, was ganz woanders spielt – in Wirklichkeit handelt es sich um eine völkerrechtliche Kontrollinstanz, die Deutschland aufgrund von UN-Bestimmungen einrichten musste.

Und sie sucht hier auch nicht nach Fällen von Waterboarding oder Schlimmerem, sondern setzt schon viel früher an: Da, wo die Bedingungen für Folter überhaupt erst entstehen – bei der herabwürdigenden und menschenverachtenden Behandlung von Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen in staatlichem Gewahrsam befinden.

Dazu hat die „Anti-Folter-Stelle“ das Recht, Gefängnisse und Abschiebungsgefängnisse, aber auch Zellen bei Polizei, Zoll oder Bundeswehr, psychiatrischen Einrichtungen und solchen, in denen Kinder, Jugendliche oder Pflegebedürftige untergebracht sind, aufzusuchen und zu begutachten.

Jedes Jahr verfasst sie einen Bericht, zu dem sich die betreffenden Aufsichtsbehörden dann äußern müssen – dessen Empfehlungen sie aber auch einfach zurückweisen können, wie schon mehrfach geschehen.

Die Coronapandemie stellte die Mitglieder der Stelle nun vor einige Herausforderungen: Zum einen musste man sich damit befassen, wie die unvermeidlichen Pandemiebeschränkungen in den verschiedenen Einrichtungen kommuniziert und ausgeglichen wurden. Zum anderen entfielen ein Großteil der sonst üblichen Kontrollbesuche und man beschränkte sich auf schriftliche und telefonische Abfragen.

Fünf Justizvollzugsanstalten (JVA) suchte die Stelle trotzdem auf, darunter eine in Niedersachsen: Die teilprivatisierte JVA Bremerförde. Hier hatten die Gutachter vor allem eines zu bemängeln: Die routinemäßige „Durchsuchung mit Entkleidung“ der Gefangenen. Die ist eigentlich in allen JVAs üblich, wird aber auch schon seit Jahren kritisiert. In Bremervörde müssen sich die Häftlinge dabei auch noch mit gespreizten Beinen auf einen Spiegel stellen, damit der Intimbereich besser in Augenschein genommen werden kann.

Das, sagt die Anti-Folter-Stelle, verstößt gleich in mehrfacher Hinsicht gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, das diesem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Grenzen gesetzt hat. Eigentlich soll schon die routinemäßige Durchführung unzulässig sein – dazu bedarf es eines einzelfallbezogenen Verdachts. Das wird aber in allen JVAs anders gehandhabt.

Außerdem, empfiehlt die Stelle, soll die Durchsuchung so erfolgen, dass auf das Schamgefühl Rücksicht genommen werden kann – also die Entkleidung zum Beispiel in zwei Phasen stattfindet, sodass immer nur eine Körperhälfte nackt ist.

Die Untersuchung von Körperöffnungen sollte grundsätzlich etwas sein, was dem ärztlichen Dienst vorbehalten bleibt. Die Gefängnisse begründen die Notwendigkeit der demütigenden Prozedere allerdings meist damit, dass sie dem Drogenschmuggel sonst überhaupt nicht mehr Herr würden.

Eine Beanstandung, die über die JVA Bremervörde hinausweist, ist allerdings, dass in Niedersachsen immer noch die Rechtsgrundlage für Fixierungen fehlt. In Bremervörde können tobende Insassen, die sich selbst und andere gefährden, mit einem Sieben-Punkt-Fixiersystem bis zur völligen Unbeweglichkeit festgebunden werden.

Die Gefangenen müssen sich nackt und breitbeinig auf einen Spiegel stellen

Dafür hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2018 allerdings hohe Hürden festgelegt. Eine Fünf- oder Sieben-Punkt-Fixierung muss zum Beispiel von einem Richter angeordnet, in Eins-zu-eins-Betreuung von qualifiziertem Personal überwacht, der Verlauf dokumentiert werden und Ähnliches.

Viele Länder mussten ihre Strafvollzugsgesetze deshalb erst einmal anpassen. In Niedersachsen ist diese Novellierung immer noch in Arbeit. Der entsprechende Gesetzesentwurf liegt derzeit im Ausschuss und es ist nicht absehbar, wann er verabschiedet wird.

„Da zeigt sich einmal wieder ein ziemlicher laxer Umgang mit den Grundrechten“, kritisiert Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen. „Wenn man konsequent wäre, müsste man ja eigentlich die Praxis aussetzen oder diese Gesetzesänderung beschleunigen – aber solange es ‚nur‘ Häftlinge und Geflüchtete betrifft, interessiert das ja niemanden.“

Limburg ist noch über einen anderen Punkt des Berichtes gestolpert: Die nationale Stelle beklagt darin, dass viele Bundesländer bestritten, dass sie auch für eine Überprüfung der Erstaufnahmeeinrichtungen von Asylbewerbern zuständig sei.

Aus Sicht der Anti-Folter-Stelle ergibt sich das aus ihrem Auftrag spätestens in dem Moment, in dem die Bewohner aufgrund von Quarantäne-Anordnungen die Einrichtungen nicht mehr verlassen dürften. 14 Bundesländer sehen das anders. Limburg möchte nun erst einmal wissen, ob Niedersachsen eines davon ist und stellt eine entsprechende Anfrage im Landtag.