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Rücktritt des GesundheitsministersMatt Hancock küsst sich aus dem Amt

Eine Affäre mit Maske, aber ohne Kontaktbeschränkung: Dem britischen Gesundheitsminister fallen die eigenen Coronaregeln auf die Füße.

Der Minister, noch ungeküsst Foto: dpa

London taz | Zack, weg war er! Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock, der Großbritannien durch die gesamte Coronapandemie navigiert hat, ist am Samstagabend zurückgetreten. Auslöser waren Aufnahmen von Sicherheitskameras vom 6. Mai, die in den Besitz der britischen Boulevardzeitung The Sun gelangt waren. Sie zeigen, wie der 42-jährige Hancock seine Mitarbeiterin Gina Coladangelo in seinem Büro in Whitehall umarmt und sich beide innig küssen.

Hancocks Abgang wurde weniger durch seine öffentlich gewordene Affäre beschleunigt – beide sind verheiratet und haben jeweils drei Kinder –, sondern weil der Gesundheitsminister mit seinem Verhalten die pandemiebedingten Distanzregeln gebrochen hatte. Dummerweise hatte er die selber aufgestellt. Scheinheilig hatte Hancock noch am 17. Mai im Nachrichtensender Sky die Frage gestellt, ob und wie er seinen Vater umarmen könne. Als etwa Neil Ferguson, ein wissenschaftlicher Berater des britischen Pandemiestabs, die Lockdownregeln wegen einer Beziehung verletzte, rügte Hancock ihn. In seiner Rücktrittserklärung entschuldigte sich Hancock für seinen eigenen laxen Umgang mit den Vorschriften.

Coladangelo und Hancock hatten sich bereits während ihrer Studienzeit an der Oxforder Universität, genauer gesagt beim Uni-Radiosender, kennen gelernt. Im März vergangenen Jahres vermittelte Hancock Coladangelo eine Be­ra­te­rin­nen­stel­le im Direktorat seines Gesundheitsministeriums.

Zu Beginn der Pandemie musste Hancock, der am 9. Juli und damit noch unter Johnsons Vorgängerin Theresa May zum Gesundheitsminister berufen worden war, peinliche Fragen über sich ergehen lassen. Unter anderem ging es darum, weshalb sein Ministerium Empfehlungen einer aufwändigen Epidemiesimulation im Jahr 2016, darunter die Anschaffung eines großen Arsenals an Schutzkleidung, nicht ernst genommen hatte. Engpässe bei der Ausrüstung sind einer der Gründe, weshalb Großbritannien in Europa die höchsten Todeszahlen an Covid-19-Erkrankten verbuchte.

35 Millionen Euro

Hancock schaffte es jedoch, im Amt zu bleiben. Auch dann noch, als bekannt wurde, dass Aufträge für Lieferungen von Coronatests in Höhe von umgerechnet 35 Millionen Euro an einen seiner Kumpels gegangen waren, der als Kneipenbesitzer jedoch keine Erfahrungen in diesem Bereich hatte. Steuergelder in Millionenhöhe versenkte Hancock später für eine funktionsunfähige britische Covid Track & Trace App. Dominic Cummings, Ex-Chefberater von Premier Johnson, hatte im vergangenen Monat vor einem parlamentarischen Ausschuss zur Pandemie gesagt, dass es „mindestens 15 bis 20 Gründe gäbe, deretwegen Hancock hätte entlassen werden müssen“.

Er habe oft gelogen, etwa in der Frage der Testkapazitäten. Später veröffentlichte Cummings Whatsapp-Posts, in denen Johnson persönlich Hancock als „f*****g hoffnungslos“ beschrieb. Auch am vergangenen Donnerstag hielt Johnson noch zu seinem Gesundheitsminister. Doch das reichte am Ende nicht aus.

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4 Kommentare

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  • "Steuergelder in Millionenhoehe" - pah, versucht mal Milliarden. Insgesamt hat Track&Trace jetzt £2 Milliarden gekostet, ohne irgendeinen Erfolg in England nachzuweisen. (Schottland und Wales haben ihre eigenen Variante.) Und "Consultants" werden hier immer noch mit £1000 pro Tag bezahlt. Verantwortlich fuer diese Idiotie ist eine Dame namens Dido Harding, die sich jetzt um den Vorsitz der NHS bewirbt - es kann nur schlimmer werden.



    Es macht allerdings keinen Unterschied, ob Hancock blieb oder ging. So oder so ist er der Suendenbock fuer das Versagen der Tory-Regierung waehrend der Pandemie. Waere er geblieben, haette er kuenftig als Schutzschild fuer Johnson herhalten muessen; vor allem in der parlamentarischen Untersuchung, die irgendwann mal kommen soll. Jetzt kann man ihm stattdessen gleich die Schuld in die Schuhe schieben und Javid als sein Nachfolger ist fein raus.

  • > Dominic Cummings, Ex-Chefberater von Premier Johnson, hatte im vergangenen Monat vor einem parlamentarischen Ausschuss zur Pandemie gesagt, dass es „mindestens 15 bis 20 Gründe gäbe, deretwegen Hancock hätte entlassen werden müssen“.

    Man sollte auch mal wieder erwähnen, dass Cummings sehr direkt mit Cambridge Analytica und damit der Meinungsmanipulation für das Brexit Referendum involviert hat und wahrscheinlich auch mit Steve Bannon, einem wichtigen Förderer Trumps, zusammen gearbeitet hat:

    www.theguardian.co...cummings-democracy

    Was wir wissen ist, dass Bannon direkte Kontakte zu Johnson hatte: www.theguardian.co...s-to-boris-johnson

  • Dass Hancock seiner wohl langjährigen Flamme auch noch eine herausragende Rolle unter seinen Helfern im Amt verschafft hat, lässt mehr als nur ein bisschen Zweifel daran aufkommen, ob ihn die Bekämpfung der Pandemie überhaupt sehr interessiert hat.

    Alles was da während der Pandemie in Großbritannien wirklich gut gelaufen ist, ist das Verdienst von Wissenschaftlern, der überaus qualifizierten, extrem professionellen, und politisch strikt neutralen öffentlichen Verwaltung (Civil Service), und dem NHS, das die Tories wegen des kostenlosen Zugangs auch für Ärmere hassen wie die Pest.

    Der Nachfolger als Gesundheitsminister ist Sajid Javid, und es ist kaum zu erwarten dass der etwas besser macht. Insbesondere ist ist Javid sehr explizit Verehrer der radikalkapitalistischen Ayn Rand, die in ihren Werken Altruismus und jegliche öffentliche Wohlfahrt prinzipiell ablehnte. Passt ja zu Rolle eines Tory Gesundheitsministers.

  • (dass es) „ mindestens 15 bis 20 Gründe gäbe, deretwegen Hancock hätte entlassen werden müssen“



    Ironie der Geschichte, dass er aus dem Amt geküsst wurde …