: „Hier im Strandbad, das geht schon ein bisschen Richtung Zille“
DER BADEMEISTER Als Vierjähriger verlief er sich zwischen den Strandkörben und wurde ausgerufen: „Kleiner blonder Axel verloren!“ Heute ist Axel Ott Chef des Strandbades Wannsee und betreut nicht nur verlorene Kinder. Ein Gespräch mit Berlins dienstältestem Bademeister über Stammgäste, die sich am FKK-Strand wie Platzhirsche aufführen, und Kollegen, die vor weiblichen Badegästen über den Zaun flüchten müssen
■ Axel Ott wird 1950 in Schöneberg geboren. Er hat einen Zwillingsbruder. Nach dem Tod des Vaters 1960 zieht die Mutter die fünf Kinder alleine groß.
■ Nach der 10. Klasse verlässt Ott die Schule mit Realschulabschluss und macht eine Lehre als Tankwart. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder arbeitet er später zwei Jahre als Decksjunge auf Container- und Frachtschiffen. Von Ostasien über Westindien bis nach Südafrika kommt er in der Welt herum.
■ Zurück in Berlin macht er 1971 seinen Rettungsschwimmer und fängt im Strandbad Wannsee eine Ausbildung als Fachangestellter für Bäderbetriebe an. 1975 legt er die Prüfung zum Staatlich geprüften Schwimmmeister ab, 1980 macht er die Meisterprüfung. 2003 wird er Leiter des Strandbads Wannsee. Heute ist Ott der dienstälteste Bademeister Berlins. Wann er in Pension geht, ist offen. Das Ruhestandsalter erreicht er 2013, er könnte aber noch bis 2016 weitermachen. Ott ist getrennt lebend und hat eine erwachsene Tochter.
■ Das Strandbad Wannsee wurde 2007 anlässlich seines 100. Geburtstags für 12,5 Millionen Euro saniert. Geöffnet ist von Mai bis September, bei schönem Wetter auch länger. Vor der Wende waren 50.000 Badegäste an warmen Wochenendtagen normal. Seit dem Mauerfall hat sich die Besucherzahl mehr als halbiert.
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE FOTOS PIERO CHIUSSI
taz: Herr Ott, bisher war der Sommer ja nicht so dolle. Haben Sie sich schon eine Erkältung eingefangen?
Axel Ott: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich während einer Sommersaison jemals krank war. In über 40 Jahren nicht.
Es heißt, Sie seien der dienstälteste Bademeister Berlins.
Stimmt. Laut Berliner Bäder Betriebe ist keiner so lange dabei wie ich.
Womit sich mal wieder bestätigt hätte: Arbeiten an der frischen Luft ist gesund.
Was das Strandbad Wannsee betrifft, kann ich das voll unterschreiben. Wir sind hier 30 Mitarbeiter und in ganz Berlin das Bad mit dem niedrigsten Krankenstand.
In anderen Sommerbädern wie dem Prinzenbad oder Columbiabad arbeiten die Bademeister auch im Freien. Wie erklären Sie sich, dass der Krankenstand dort höher ist?
Die Kollegen werden stärker psychisch und nervlich beansprucht. Das liegt daran, dass wir deutlich weniger Jugendliche haben, die Stress machen, als andere Bäder. Jugendlichen, die meinen, sich produzieren zu müssen, ist das Strandbad zu langweilig. Außerdem ist ihnen die Fahrt hier raus zu uns zu weit.
Das heißt, im Strandbad Wannsee schiebt man als Bademeister eine ruhige Kugel?
Ganz so ist es nun auch wieder nicht. Bei 25, 28 Grad Außentemperatur brodelt hier der Boden. Da haben wir schnell 16.000 bis 18.000 Gäste – da muss man Nerven wie Drahtseile haben. Das gilt auch für Großveranstaltungen wie die Seefestspiele oder das Musikfestival „Energy in the Park“. Da kommen im Strandbad schon mal 40.000 Besucher zusammen. Was den Alltag betrifft, machen unsere Bademeister im Unterschied zu anderen Sommerbädern deutlich mehr körperliche Arbeit und Naturpflege.
Was ist darunter zu verstehen?
Wir haben 360.000 Quadratmeter Grundfläche und 140.000 Quadratmeter Wasserfläche. 220 Strandkörbe müssen täglich in Reih und Glied gerückt werden, drei Kilometer Strandkante geharkt werden. Wir haben über 50.000 Quadratmeter Strand, der gereinigt und gepflegt werden muss.
Sie haben nie in einem anderen Sommerbad gearbeitet. Was verbindet Sie mit dem Strandbad Wannsee?
Der Wannsee ist für mich Lebenselixier. Ob das Strandbad ohne mich kann oder ich ohne das Strandbad, das wissen wir beide nicht. Ich war hier schon als Kind mit meinen Eltern. Als Vierjähriger habe ich mich oft verlaufen: Die Strandkörbe, der Sand, alles sieht ja gleich aus. Ein Badegast hat mich gegriffen und zum Schwimmmeister gebracht. Der hat mich ausgerufen: „Kleiner blonder Axel abzuholen“. Ich bin oft ausgerissen, ich wollte immer weg. Man hat mich besänftigt mit Cola oder Eis. Das hat mich noch mehr angestachelt. Es gab Tage, da wurde ich mehrere Male ausgerufen. Seitdem verfolgt mich das Bad eigentlich.
Also direkt von der Schulbank auf den Aufsichtsturm?
Nicht ganz. Bevor ich die Lehre zum Schwimmmeister gemacht habe, bin ich mit meinem Zwillingsbruder zur See gefahren. Nach zwei Jahren haben wir quittiert, weil es uns nicht mehr gefallen hat. Dann lag ich nach Jahren wieder hier am Strand und dachte, was die Kollegen da oben auf dem Aufsichtsturm machen, das könntest du doch auch. Da war ich gerade 20.
Welche Laufbahn hat ihr Zwillingsbruder eingeschlagen?
Er ist zur Justiz gegangen und hat Gefangene bewacht. Und ich habe meine Badegäste bewacht (lacht). Er als Schließer in abgeschlossenen engen Räumen, alle Fenster vergittert. Bei mir die große Freiheit, buntes Publikum. Er war immer total neidisch.
Was haben Sie heute für eine Beziehung zu ihm?
Im Unterschied zu mir ist er schon Pensionär. Wir haben sehr guten Kontakt. Wir sind beide begeisterte Motorradfahrer und fahren viel zusammen durch Brandenburg. Er ist ein ganz anderer Typ: Mein Bruder ist eher dunkel, ich bin hell. Ich war immer der Wilde, Ungezogene. Das ist bis heute so.
Wie äußert sich das?
Wenn wir mit unseren Motorrädern im Stau vor einer Bahnschranke stehen, stellt sich mein Zwillingsbruder natürlich hinten an. Ich fahre ganz langsam zur Rampe vor. Die Schranke geht fünfmal auf und zu, und mein Zwillingsbruder ist immer noch nicht da, weil er sich immer lieb und brav an die Regeln hält. Mein Bruder ist ganz normal durch die Schule gekommen. Ich bin ein paar Umwege gegangen. Aber das lassen wir hier mal lieber.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag im Bad?
Es war – glaub ich – ein Samstag. Wir hatten 30 Grad und 28.000 Besucher. Um 11 Uhr zum Dienst angetreten. Rauf auf den Aussichtsturm. Tolle weiße Hose. Bis 20 Uhr gearbeitet. Ich dachte: „Jetzt haste Feierabend!“ und wollte unter die Dusche. Aber denkste. Wir mussten noch den Strand aufräumen. Bei so vielen Besuchern fallen 30 bis 40 Kubikmeter Müll an. Jeden Tag. Um 24 Uhr waren wir noch nicht fertig. Ich hab zu mir gesagt: Biste Bademeister oder bei der Müllabfuhr oder wat? Am nächsten und übernächsten Tag genau das Gleiche. Ich hab mir gedacht, das wird bestimmt kein lebenslanger Job. Aber dann kamen die ersten Tage mit schlechterem Wetter. Es wurde ein bisschen gemütlicher und geselliger unter den Kollegen. Und so haben wir die Saison verbracht. Im Winter bin ich wieder zur See gefahren, im Sommer hab ich im Strandbad gejobbt – so lange, bis eine Planstelle frei wurde.
Seit 2003 sind Sie der Chef des Bades. Was macht man da so?
50 Prozent ist Verwaltungsarbeit, 50 Prozent operativer Einsatz. Manche Leuten nennen mich auch den Leo hier. Ich bin ja auch der Leo: Ich bin das Mädchen für alles. von der Feuerwehr über Schnellrichter, Müllmann bis zum Sanitäter, Maler, Psychologe, Kinderbetreuer. Wir machen hier alles.
Womit beschäftigen Sie sich in den Wintermonaten?
Die Kollegen in den anderen Sommerbädern gehen im Winter in die Hallenbäder. Wir bleiben das ganze Jahr über hier. Auch im Winter ist reichlich zu tun: Wir reparieren die Strandkörbe, die Bojen werden überholt und gestrichen, Motorboote gewartet. Da haben Sie richtig zu tun.
Haben Sie noch manchmal Dienst auf dem Turm?
Gelegentlich, wenn es die Zeit erlaubt. Alle Kollegen sind gern auf dem Turm. Sie können in Florida sein oder in der Karibik oder sonst irgendwo – einen besseren Sonnenuntergang haben Sie noch nicht gesehen. Da brennt der Himmel. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes so. Der Turm ist ungefähr 100 Meter vom Ufer entfernt und nur durch einen Steg mit dem Strand verbunden. Man ist vom Jubel und Trubel des Strands abgeschottet. Die Kollegen haben aber auch eine große Verantwortung: Jeder Badegast, der ins Wasser geht, ist für uns ein potenzieller Ertrinkender. Das Rettungsboot muss immer startklar sein.
Wie tief ist der Wannsee?
Die tiefste Stelle in unserem Badegebiet ist ungefähr fünfeinhalb Meter. Die tiefste Stelle im See überhaupt ist zwölfeinhalb Meter. Dort, wo die Fahrrinne ist.
Wie lange muss man vom Ufer aus waten, um bis zu den Brustwarzen im Wasser zu stehen?
Das hängt von der Größe ab. Ich bin 1.70. Ich lauf schon meine 60 Meter. Im Prinzip ist der Wannsee eine überschwemmte Wiese. Aber draußen bei den Bojen haben Sie noch die große Freiheit des Schwimmens. Da können Sie rückenschwimmen. Da können Sie brustschwimmen. Da können Sie die Augen zumachen und schwimmen. Da treffen Sie keinen, der Sie irgendwo berührt oder stört oder wie im Hallenbad mit dem Ellenbogen an der Nase wedelt oder mit den großen Zehen die Ohrläppchen krault. So was gibt’s hier im Strandbad Wannsee nicht.
Wie oft gehen Sie selbst schwimmen?
Ich sag mal, einmal die Woche bin ich schon drin. Um ganz ehrlich zu sein: Ich finde Wasser eigentlich blöd. Aber es ist unsere Grundlage, irgendwo muss man sich ja auch mit dem Beruf identifizieren.
Das Strandbad ist 105 Jahre alt und gerade von Grund auf saniert worden. Alte Leute assoziieren damit den Song von Conny Froboess von 1957: „Pack die Badehose ein“. Gehören solche Leute noch zu Ihrem Publikum?
Das Bad ist internationaler geworden. Der Trend geht hin zu jungen Leuten, wir haben hier auch eine Homosexuellen-Szene. Aber ganz klar sind wir auch noch das Familienbad, und wir haben natürlich Stammgäste – Urberliner. Das geht schon ein bisschen Richtung Zille manchmal. Wir haben ein paar kuriose Gestalten im Bad, aber die hat man in allen anderen Bädern auch.
Was kennzeichnet diese Leute?
Im FKK-Bereich haben wir die meisten Stammgäste. Die haben ihre Parzelle abgestochen. Eigentlich gibt es keine Stammplätze, auch die Strandkörbe werden jeden Tag neu vermietet. Aber wenn da mal jemand anders liegt, werden Sie verbal angemacht. Nach dem Motto: „Du liegst auf meinem Platz! Ich bin hier seit 30, 50 Jahren.“
Es gibt wirklich Leute, die jeden Tag kommen?
Natürlich. Die haben eine Saisonkarte, die gilt die ganze Sommersaison. Wenn einer keinen Garten hat – wo sitzt es sich als Rentner besser als im Strandkorb am Wasser? Gerade auch bei schlechtem Wetter, in eine Decke eingehüllt und mit Grog oder Kaffee und einem Buch. Besser kann man’s gar nicht haben.
Wie reagieren die Stammgäste, wenn sich jemand mit Badeanzug bekleidet an den FKK-Strand legt?
Bei uns muss man sich nicht ausziehen. Jeder kann das so halten, wie er will. Man kann sich auch mit Wintermantel da hinlegen. Uns ist das egal. Aber Sie liegen da höchstens eine Viertelstunde. Dann haben Sie so viel Stress mit den Stammgästen – und räumen freiwillig den Platz.
Was passiert konkret?
Man setzt sich neben Sie. Belästigt Sie ein bisschen, indem man Sie ständig anspricht. Wenn Sie gern Sonne haben, stellt sich einer davor. Die sind schon gut drauf, die Jungs und Mädchen. Die machen sich ihre eigenen Paragrafen und Gesetze. Deswegen ist der FKK-Bereich für uns auch der ruhigste Bereich im Bad: Es regelt sich alles allein. Da passen unsere Stammgäste schon auf, dass das alles seinen sozialistischen Gang geht.
Inwiefern hat sich das Image des Bademeisters im Laufe Ihrer Dienstzeit verändert?
Früher war alles ein bisschen militärischer. Da hatte der Bademeister einen Bierbauch, eine rote Nase, eine Goldkette und eine Trillerpfeife um den Hals. Man hat gepfiffen, den Zeigefinger erhoben und dieses Zeichen gemacht (er krümmt den Finger und macht eine Ranholbewegung), dass derjenige zum Bademeister zu kommen hat. Das ist inzwischen undenkbar. Heute geht der Bademeister natürlich hin und spricht mit dem Badegast.
Auch die Bademode hat sich ziemlich verändert. Wie nimmt der Bademeister das wahr?
Das sieht man gern an. Dafür hat man als Bademeister ein geschultes Auge. Ist schon recht aufreizend manchmal. Ich sehe natürlich lieber eine textilbekleidete Schönheit als eine unbekleidete alte Dame. Die Kollegen auf dem Turm überblicken ja den ganzen Strand. Zum FKK-Strand guckt keiner mehr hin.
Flirten Sie auch gelegentlich mit Badegästen?
Na klar, das gehört mit zum Beruf. Manche Badegäste erwarten das richtig. Ich sag’s mal so: Wenn einer von den Kollegen ledig ist, der kann hier fünf Beziehungen pflegen, wenn er möchte. Er braucht nur einmal über den Steg zu gehen und kann sich abends vor Telefonnummern an seinem Auto kaum retten. Die Kollegen sind inzwischen schon so sensibilisiert, dass sie gar keine Nummern mehr rausgeben.
Was, glauben Sie, finden Frauen an Bademeistern?
Meine Jungs hier sind ja nun alle nicht ohne. Das sind recht kernige Typen, und dementsprechend werden sie von den weiblichen Badegästen angehimmelt, ist ja klar. Einige Kollegen müssen hier abends fast über den Zaun springen, weil da vor der Tür Besuch auf sie wartet. Um dem zu entgehen, müssen sie einen anderen Fluchtweg nehmen.
Ist das in anderen Bädern auch so?
Das weiß ich nicht. Ich glaube aber, im Strandbad ist das schon extrem.
Hat sich schon mal jemand versetzen lassen, weil er von weiblichen Badegästen gestalkt wurde?
Natürlich nicht. Da sind die Kollegen taff.
Fühlt man sich als Bademeister ein bisschen wie ein Playboy?
Die Bild-Zeitung hat mal einen Artikel über mich überschrieben mit: „Der Gigolo vom Strandbad“. Was meinen Sie, was hier los war?! Mit Fingern haben die Badegäste auf mich gezeigt. „Kiek mal, da isser. Der Gigolo.“ Mann, war mir das peinlich. Aber irgendwie fand ich es auch witzig.
Es hat Ihnen geschmeichelt, geben Sie es zu. Wie würden Sie sich denn selbst bezeichnen?
Man könnte den Schwimmmeister vielleicht mit dem Status vergleichen, den ein Skilehrer hat. Wir geben ja auch Schwimmunterricht. Wir patrouillieren auch über den Strand, geben Auskünfte und Hilfestellungen in jeder Lebenslage. Auch wenn sich mal jemand den Rücken eincremen lassen möchte, und die Dame hat nicht so lange Arme. Da ist der Kollege gern bereit.
Sie auch?
Natürlich (lacht)! Ich lauere nicht darauf, aber ich werde auch oft genug gefragt.
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