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Viele Ameisen, viel Applaus

Die Nord-Art in Büdelsdorf holt nach, was im vorigen Jahr wegen Corona unmöglich war. Und spielt – mit KünstlerInnen auch aus der Ukraine – einigermaßen unverhüllt politisch auf das Thema „Grenzen“ an

Kunst, die kleine Geschichten erzählt: vorn Veronika Psotkovás „Together – InThe Stream“, rechts hinten XI Jianjuns „Babylonian“ Foto: Jörg Wohlfromm © www.nordart.de

Von Esther Geisslinger

Die Ameisen sind überall. Die erste, einen Meter hoch und silbrig, begrüßt die Be­su­che­r*in­nen der Nord-Art nahe am Eingang in die ehemaligen Werkhallen, in der die Kunstschau stattfindet. Die alte Schlackegrube des Büdelsdorfer Fabrikgeländes haben die Tiere ganz übernommen: Kleiner als die silberne Verwandte und rostfarben türmen sie sich zu Wellen auf, bereit, die Welt zu erobern oder jedenfalls aus der Grube an die Oberfläche zu steigen.

Die Ameisen-Skulptur des chinesischen Künstlers Zhang Zhaohui besteht aus 800 Einzeltieren, sogar ins Büro des Kurators Wolfgang Gramm sind einige vorgedrungen. Gramm hat – wie das ganze Team hinter der Ausstellung – anstrengende Wochen und Monate hinter sich.

Schon im Normalfall ist die Nord-Art, die Kunst aus aller Welt in das kleine Städtchen Büdelsdorf bei Rendsburg bringt, ein Kraftakt. Diesmal hat die Coronapandemie für zusätzliche Belastungen gesorgt. Denn die Ausstellung dieses Jahres ist eigentlich die des vergangenen Jahres, die wegen des Lockdowns ausfallen musste. „Uns war klar, dass die Probleme beim Transport und beim Aufstellen erst losgehen“, erinnert sich Künstlerin Inga Aru, zugleich für die Pressearbeit zuständig. „Wir konnten die Anlieferung der meisten Kunstwerke noch bremsen.“

Als sich eine Besserung der Lage für dieses Jahr abzeichnete, stellte Gramm die Ampel auf Grün. Finanziert wird die Ausstellung, die jährlich rund eine Million Euro kostet, durch einen Sponsor und Zuschüsse der Städte Rendsburg und Büdelsdorf, berichtet Wolfgang Gramm. Zum 22. Mal findet die Kunstschau nun statt, inzwischen sei ihr Ruf so gut, dass es ein Überangebot an Werken gebe, sagt der Kurator: „Es ist eine Applaus-Ausstellung und für die Beteiligten auch ein Gradmesser ihres Platzes in der Kunstwelt.“

Wundersame Wesen

Das gilt auch für die Nationen, die einen Raum als Schaupavillon gestalten dürfen. Die Ukraine hat in diesem Jahr den Zuschlag erhalten – für die Regierung und deren offizielle Kunstszene sei das durchaus wichtig gewesen, berichtet Aru. „Grenzen“ lautet das Thema, unter dem sich Künst­le­r*in­nen aus der Ukraine versammeln. Im optischen Mittelpunkt der Halle stehen Skulpturen von Maria Kulikovska und Uleg Vinnichenko: Die Kunstharz-Abgüsse des Körpers der Künstlerin sind gefüllt mit störenden Materialien und Gegenständen wie Ketten.

Daneben stellt Olga Kuzyura in „Lost Presence“ Papierobjekte aus, die an verlorene Räume, zerstörte Häuser und Grenzsäulen nicht mehr existenter Staaten erinnern. Zeichnungen entstellter Gesichter von Mikola Lukin oder ein rennender Mann, gemalt von Roman Michailov, zeigen die Erfahrungen von Menschen in Grenzsituationen.

Das Kuratoren-Duo der Sonderschau, Evgen Karas und Darina Momot, will einen Überblick über die aktuelle Kunstszene der Ukraine geben und einen weiten Bogen spannen, der das Thema Grenzen auf unterschiedliche Weise auslotet.

„Als zweites Thema hat sich ‚Identität‘ herauskristallisiert“, sagt Inga Aru. Dazu gibt es eine kleine Schau in der Schau, die von Künst­le­r*in­nen aus ­Zentralasien bestückt wird. Bunte Farben und ineinander verschlungene Formen prägen viele der Arbeiten. Timur Davatz aus Usbekistan lässt sich von Mythen seiner Heimat inspirieren, Jelena Kambina, ebenfalls Usbekistan, ahmt die Tradition der Ikonenmalerei nach, verfremdet sie aber. Iljos Mamadzhanoz aus Tadschikistan konzentriert sich in seinen Gemälden auf Formen und Farben.

Und ein drittes Thema lässt sich finden: „Wir haben es ,Welt der wundersamen Wesen’ genannt“, sagt Aru. Einige dieser Wesen finden sich in der „Remise“, einem Gebäude im Skulpturenpark, der an die Werkhallen angrenzt.

Engel in Uniform

Aber auch an anderen Stellen tauchen sie auf: In der zentralen Werkhalle fliegen rote Hirsche durch die Luft, schweben zarte Ballerinen aus Draht über einem Wasserbecken. Ein strahlend weißer Engel in Armeeuniform zielt mit einem Gewehr auf einen Radfahrer in Schwarz. Silberne, überlebensgroße Dodos stehen den Be­su­che­r*in­nen auf Augenhöhe gegenüber.

„Die Ausstellung erzählt kleine Geschichten“, sagt Aru. So ist in der ersten Halle der Boden mit hellen Kieselsteinen bedeckt, die Gemälde hängen an grünen Wänden. Zwei Räume weiter liegen grüne Steine vor hellen Wänden. Neben einem monumentalen „Turm zu Babel“ aus Holz befindet sich eine akustische Installation, in der 80 Personen in verschiedenen Sprachen Texte vortragen.

Und während man für den Besuch der Hallen online feste Zeiten buchen muss, kann man den Skulpturenpark ganztägig besuchen. Dort finden sich 55 teils sehr großformatige Werke aus Marmor, Stein, Stahl und anderen Materialien. Darunter sind figürliche Arbeiten wie das „Stahlpferd“ von Michal Gabriel aus der Tschechischen Republik und geometrische Figuren wie „Das Ding“ von Manuel Ferreiro Badia.

Aus einem See auf dem Gelände ragen „Beine aus dem Wasser“, die Kurt Gebauer (Tschechische Republik) dort installiert hat.

Und trotz des aktuellen Trends zu rein virtueller Kunst bleiben für Wolfgang Gramm reale Bilder und Skulpturen wichtig: „Die Seele eines Werks kann man nicht reproduzieren, es geht um Handwerk, um das direkte Anschauen und Anfassen.“

Nord-Art: bis 10. 10., Vorwerks­allee, Büdelsdorf, Infos: https://www.kunstwerk-carlshuette.de